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Jörg Weinöhl – Ein Dornröschenballett

Die Feen zu Besuch im Schloss. © Werner Kmetitsch

Mit „Der Liebe Schlaf“, einem Dornröschenballett hat sich der neue Direktor der Grazer Ballettcompagnie dem Publikum vorgestellt. Weinöhl greift auf die Erstausgabe des von den Brüdern Grimm aufgezeichneten Märchens zurück und wechselt auch die Perspektive. Die Zuschauer_innen sitzen samt dem Grazer philharmonischen Orchester auf der Bühne.

Der Zuschauerraum ist das Schloss des anfangs kinderlosen Königspaares, durch das das Publikum geführt wird, auf dass es auf der Bühne Platz nehme. Diese bleibt ohne Dekoration, das wechselnde Licht im Zuschauerraum verändert die Szenen. Noch toben Kinder durch die abgedeckten Sesselreihen, spielen Verstecken. Allmählich wird es still, „alle Tänzer und Tänzerinnen“ versammeln sich zur Ouvertüre.

Das Königspaar ( lorena Sabena, João Pedro de Paula) . © Werner Kmetitsch

Fasziniert von Alter Musik hat Weinöhl für seine Choreografie feierliche Intraden, Chaconnes, Divertissements und Arien aus Spätrenaissance und Barock als Unterstützung gewählt. Dabei gibt es manche Entdeckung zu machen: Johann Christian Schieferdecker (1679–1731), Philipp Heinrich Erlebach (1657–1714) oder Nicola Matteis (*1650, Todesjahr unbekannt). Am tiefsten ins Herz aber trifft die Arie „ Calm thou my soule …“ (Accompagnato und Air aus Gottfried Friedrich Händels Oratorium „Alexander Balus“). Sopranistin Sieglinde Feldhofer interpretiert, immer leiser werdend, am Ende sind nur noch Bruchstücke zu hören. Erschütternd und tröstlich zugleich, Dornröschen ist nicht wirklich tot. Die Tenor Arien (fast ein wenig zu viele, weil sie vom Blick auf das Bühnengeschehen ablenken) werden von Martin Furnier gesungen, der als Begleiter eines nahe an den Zuschauer_innen schlafenden Buben auch stumm am Spiel teilnimmt.

 Dornröschen ganz munter (Bruna Diniz Afonso). © Werner KmetitschDie Geschichte ist bekannt, obwohl in den Fassungen aus heutigen Märchenbüchern die Begegnung der Königin im Bad mit dem Krebs, der ihr die baldige Schwangerschaft voraussagt, weggefallen ist. Dieser Rückgriff gibt Weinöhl Gelegenheit vier Krebse auftreten zu lassen worauf gleich das prächtige Tauffest folgt, bei dem alle Feen (darunter auch Männer in schwingenden Röcken) auftreten. Die 13., die „Fee des Unbekannten“ (Miki Wakabayashi), ist weniger böse als missachtete, gekränkte Außenseiterin. Die Grimms erzählen, dass Königs nämlich nur 12 goldene Teller hatten und deshalb die 13. Fee einfach nicht einladen konnten. Diesem offenbar wenig gastfreundlichen Paar (Lorena Sabena, João Pedro de Paula) gibt Weinöhl mit zwei Pas de deux mehr Raum als es in den Choreografien zu Tschaikowskis Musik gemeinhin hat. Doch so wirklich charakterisiert sind die Rollen alle nicht, Dornröschen hüpft nach dem Wiedererwachen nicht anders als davor und um den Prinzen beneide ich sie auch nicht.

Präsenz des Bösen. Lediglich Wakabayashi kann ihrer Rolle als „Fee des Unbekannten“ Leben einhauchen. Sie hat auch begriffen, dass die ungewohnte Nähe zum Publikum eine neue Konzentration auf die Mimik erfordert. Die bösen Blicke der guten Feen müssen halt dem Premierenstress zugute zu gehalten werden. Doch wenn die beleidigte Fee mit ihren spitzen Schuhen das Königspaar bedroht und das Neugeborene verflucht, ist das Böse hautnah erfahrbar. Der Schock der gesamten Hofgesellschaft (in a Moll) nimmt die 100jährige Erstarrung voraus. Feenannäherung (Dylan Hoskins, Miki Wakabayashi)). © Werner Kmetitsch
Zu den namentlich definierten Rollen erfindet Weinöhl auch Doppelgänger, Seelen und Gefühle, die vom Ensemble in wenig kleidsamer rosa Unterwäsche getanzt werden. Sie verzögern mit Absicht den Handlungsteil, geben den Tänzer_innen mehr Bewegungsfreiheit im abstrakten Intermezzo und dem Publikum (auf Wunsch des Choreografen) Gelegenheit, sich in die Tiefen der Geschichte zu begeben. Die Feen, teilweise auf hohen Absätzen, haben kaum Spielraum, treten auf, tanzen wenig. Eine besondere Rolle spielt die Fee der Liebe (Dylan Hoskins mit Bart und angestrengter Miene), sie kann die Fee des Unbekannten bekehren, ihr die Liebe erklären und so dem Prinzen (Simon Van Heddegem), der als tollpatschiger Schüler daher kommt, den Weg durch die Dornenhecke öffnen.

Dem mangelnden Platz auf der reduzierten Bühne und der ersten Begegnung des Choreografen mit seinem neuen Ensemble mag es zuzuschreiben sein, dass eine spezifische Tanzsprache Weinöhls noch nicht zu erkennen ist. Eindrucksvoll sind die Solis und Pas de deux der beiden Hauptfeen (der Liebe, des Unbekannten) und das herzige Ballett der Köche. Doch was mir bleiben wird ist das Bild des schlafenden Schlosses, Kinder und Tänzerinnen auf weißen Polstern, begleitet von der Händel-Arie. Ein Ruhepunkt vor dem glücklichen Ende. “Happy, happy, happy we“ lässt Händel singen.

Jörg Weinöhl: „Der Liebe Schlaf. – Ein Dornröschenballett“, musikalische Leitung: Robin Engelen, Bühne &Kostüme: Saskia Rettig. Uraufführung am 10.10., Oper Graz. Nächste Vorstellung: 16.10. 2015
Hinweis: Auch der Komponist von „Hänsel und Gretel“, Engelbert Humperdinck, ließ sich vom „Dornröschen“-Stoff inspirieren. Als konzertante Aufführung ist die Opern-Rarität zwei Mal in Graz zu hören: 31. Oktober; 8. November 2015.