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Festwochen: Rosas tanzt Johann Sebastian Bach

"Mein Gehen ist mein Tanzen"

Eingeladen von  den Wiener Festwochen hat Anne Teresa De Keersmaeker mit ihrer Formation Rosas J. S. Bachs „Sechs Brandenburgischen Konzerte“ im Theater an der Wien gezeigt.

De Keersmaekers Faible für Johann Sebastian Bach währt schon lange, auch ihr Interesse, Bewegungen nach musikalischen Partituren zu choreografieren, ist nicht neu. "Die Brandenburgischen Konzerte": Musikalische Strukturen sichtbar gemachtErst im Vorjahr hat sie mit dem Cellisten Jean-Guihen Queyras und sechs Tänzer*innen ihre Ensembles Rosas „Mitten wir im Leben sind – Bach 6 Cellosuiten“ erarbeitet. Im Rahmen des ImPulsTanz Festivals haben Queyras und Rosas die barocken Suiten auch in Wien aufgeführt. Die Bühnenpräsenz Queyras und seine außergewöhnliche, packende Interpretation auf dem Cello, sowie die Performance der Tänzer*innen, die in De Keersmaekers Choreografie aus ihrem individuellen Bewegungsrepertoire geschöpft haben, haben diesen Abend zu einem großartigen Ereignis erhoben.

Nicht so „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“, die von B*Rock unter der Leitung der Geigerin Amandine Beyer wenig aufregend, ja eher banal wie die abegenudelten Concerti grossi alltäglich aus dem Radio tönen, gespielt werden. Laufen, fliegen, zu dritt, zu zweit, solo, im hellen Licht.

Aufgeputzt durch den Auftritt eines Hundes und einens Nummern-Boys, der in wechselndem Outfit (passend zu den goldenen Kugeln, die an Fäden vor dem halbrunden Bühnenhintergrund hängen, zum Finale in Gold gehüllt, ) mit einer Tafel die einzelnen Konzerte angekündigt, während der heftige Applaus verebbt und die Musiker*innen neuerlich ihre Instrumente stimmen, erscheint mir  auch das Drehen und Fliegen der hervorragenden Rosas-Tänzer*innen ziemlich blutleer, eine perfekt gelöste Mathematikaufgabe.

Keersmaeker erfreut sich an der Struktur der Musik und visualisiert sie im Tanz. Einzeln oder in Gruppen ordnet sie die Tänzer*innen den Instrumenten zu, die Musik wird in ihrer Struktur und Bewegung sichtbar. Gehen („Mein Gehen ist mein Tanzen“, wird die Choreografin gerne zitiert), springen, fallen, in einer Linie, im Kreis, in der Spirale, in der sich auch die Körper biegen. Eindrucksvolle Trios und Quartette, fulminante Solos lohnen das genaue Hinschauen. Keersmaeker-Kenner*innen sind die Bestandteile ihrer Choreografie seit gut 30 Jahren vertraut. Neues, Aufregendes, Überraschendes ist in den zwei Stunden nicht zu sehen, Schönes, Beruhigendes halt.Das Miteinander von Gruppen und Solist*innen ist mathematisch durchkonsturiert. Zurücklehnen, genießen, die Hände applausbereit halten, um gleich loszupaschen, auch wenn die letzten Noten noch nicht gespielt, die letzten Schritte noch nicht getanzt sind. Die schönen Pausen, Stillstand und Ruhe, können nicht erlebt werden, das Festwochenpublikum nützt sie, um seine Begeisterung kundzutun.
 Für die Brandenburgischen Konzerte hat die Choreografin das Ensemble ( 12 Männer, vier Frauen, die nur zu Beginn und am Schluss, wenn sich der Kreis schließt, alle auf der Bühne sind) aus drei Generationen zusammengesetzt, die Jüngsten dürfen in kurzen Hosen tanzen und turnen, alle anderen sind in dezentes Schwarz gekleidet. Ein Markenzeichen der Choreografin: Die Körper kippen nach vorn, fallen in die Bewegung.Der Generationenunterschied ist kaum erkennbar, Samantha van Wissen, die seit mehr als 20 Jahren das Rosas-Repertoire im Körper gespeichert oder Michaël Pomero, der seit zehn Jahren mit der Choreografin arbeitet, sind mit der jüngsten Generation zu einem homogenen Ensemble zusammengewachsen, das unvergleichlich ist in seiner Präzision, seiner Bewegungsfreude und ausgefeilten Tanzkunst.

Diese Kunst bleibt jedoch in meinem Kopf stecken, ich sehe nur noch Strukturen und Spiralen, fallende und sich wieder aufrichtende Körper, ich fühle nichts.

Die Wiener Festwochen haben in jüngster Zeit nicht gerade eine Vorliebe für Tanz gezeigt, so ist es überraschend, dass Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas heuer Festwochengast ist. Wie seit gut 25 Jahren im ImPulsTanz Festival, waren die beiden Vorstellungen restlos ausverkauft. Unverständlich allerdings ist, dass De Keersmaeker dem ImPulsTanz Festival so mirnixdirnix die Treue aufgekündigt hat. Seit 1994 ist sie mit ihrem Ensemble ImPulsTanz verbunden, wurde gehätschelt und hofiert, und sagt schließlich nicht einmal Adieu, verschwindet einfach, verlässt nicht nur den Freund Karl Regensburger, sondern auch das treue Publikum? Fairness? Höflichkeit? Die Jüngsten dürfen in kurzen Hosen über die Bühne fliegen.Gelten anscheinend nicht für Künstlerinnen. Schon für die Uraufführung der „Brandenburgischen Konzerte“ zeigte sich De Keersmaeker treulos. Da hat sie Annemie Vanackere, künstlerische Leiterin des Berliner Off-Theaterkombinats Hebbel-am-Ufer (HAU) und ebenfalls Anne Teresa De Keersmaeker eng verbunden, im Stich gelassen. Die Berliner Volksbühne erschien ihr wohl attraktiver.
Klar, dem Publikum kann das egal sein. Es bedankte sich bei der Choreografin – die, völlig ungewohnt in schimmernder Seidenrobe gekleidet, auf der Bühne erscheint, mit Jubel und gellenden Pfiffen.
Randbemerkung: Die Deutung der Pfiffe hat sich völlig gewandelt, einst wurden Künstler*inenn „ausgepfiffen“, heute werden sie hochgepfiffen. Sitzt so ein Pfiffiger neben dir, dann tut es in den Ohren weh.
Randbemerkung ad ImPulsTanz Festival: Eröffnet wird heuer am 11. Juli mit dem hochaktuellen, pulsierenden Werk eines blutvollen Choreografen: Tanzlin.z zeigt „Macbeth“ von Johann Kresnik.

Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas / Amandine Bayer / B’Rock Orchestra: „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“. Musik von Johann Sebastian Bach (Brandenburgische Konzerte, BWV 1046–1051). Choreografie: Anne Teresa De Keersmaeker; Musikalische Leitung: Amandine Beyer; Von und mit Boštjan Antončič, Carlos Garbin, Frank Gizycki, Marie Goudot, Robin Haghi, Cynthia Loemij, Mark Lorimer, Michaël Pomero, Jason Respilieux, Igor Shyshko, Luka Švajda, Jakub Truszkowski, Thomas Vantuycom, Samantha van Wissen, Sandy Williams, Sue Yeon Youn. Theater an der Wien, 3. und 4. Juni im Rahmen der Wiener Festwochen.
Fotos: © Anne Van Aerschot