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Ein Märchen aus tausendundeiner Nacht

Detail aus dem Bildband "Wiener Staatsoper", Edition Lammerhuber, 2009

Einst gab es eine Zeit, da war den Menschen Liebe, Freundschaft und Respekt wichtiger als Geld und Gold. Das war vor tausendundeiner Nacht, bei uns in Bagdad. Die Menschen zahlten für Kunst und Kultur mit ihrem Steuerbeitrag und werteten diesen auf, falls sie im Gefolge einer oder mehrerer Musen waren, durch den Preis ihrer Eintrittskarte in den Musentempeln. In vielen dieser Tempel, in der Stadt der Tänzer und Geiger, wird Musik gemacht, dazu drehen sich Ballerinen und Ballerinos.

"Feundinnen", gemalt 2003 vom amerikanishen Künstler Jerry Weiss. © gemeinfreiAuch in jener alten Zeit waren Förderinnen und Mäzene erwünscht, auf ihr Ableben ist nicht gewartet worden. Sie spendeten und konnten ihren Namen auf Zetteln und Aushängeschildern lesen. Geil!
Andere, die nicht mit glitzerndem Metall gesegnet waren, gründeten einen Club der Aficionadas und -nados. Bühne und Zuschauerraum bildeten eine diverse Gesellschaft, familiär, respektvoll, fröhlich.
Nichts währt ewig, auch bei uns in Bagdad nicht. Der erfolgreiche Wesir der Tanzpalast-Truppe geht ins Land der Etrusker, wo auch getanzt wird. Die Pest hat ihm den stolzen, dankbaren Blick auf das von ihm geschaffene Werk verboten. Leider, auch bei uns in Bagdad breitete sich die Seuche aus. Von der beliebten Urlaubsinsel Minger ist sie in unsere schöne Stadt getragen worden. Der neue Wesir, ein älterer Herr von großem Ansehen in einem anderen Land, musste mitten in der Pandemie sein Amt antreten und hat es wirklich nicht leicht gehabt. "Hat man nicht auch Gold beineben kann man nicht ganz glücklich sein; …" (Rocco in der Oper "Fidelio" von Ludwig van Beethoven.) © amazon.de
Doch kaum waren die Schutzkleider abgelegt, die Türen wieder offen und die Pestilenz-Bakterien vernichtet, erobert der neue Wesir das tapfere Häuflein der Tanzfreundinnen und holt es in sein Haus. Der Club wird zum Kreis, und die Freundschaft zu Schall und Rauch, pardon, zum Namen. Wozu dieser Kreis wirklich dient, hat sich bald herausgestellt. Um immaterielle Werte wie Freundschaft, Hochachtung oder Respekt geht es im Kreis jedenfalls nicht, sondern ganz profan, um die klingende Münze, das raschelnde Papier. Non olet. Tausendundeine Nacht, Buchausgabe illustriert von Franz von Bayros (1866–1924). © gemenfrei Bald weiß man bei uns in Bagdad, die liebsten Mitglieder im Kreis – Freundschaft hin, Wertschätzung her – sind solche, denen schon der Mann mit der Sense, bei uns in Bagdad Quiqui genannt, die ersten Grüße schickt. Noch geschätzter werden Mitglieder im Kreis, wenn sie betucht sind und sich durch einen Zusatzobolus mit Silber, Gold oder Platin bekrönen lassen. Je höher der Metallstatus, desto öfter gab es läppische Benefizien. Obwohl doch alle Bagdadianer:innen mit ihren Beiträgen die Tempel der Musen fördern.
 Gleich komme ich in meinem Märchen zum Quiqui zurück, der macht sich auf Seite 3 eines 4-seitigen Fragebogens bemerkbar, der den vom Club automatisch in den Kreis gerutschten Mitgliedern ans Herz greifen will, Ein osmanischer Wesir in großer Gala mit seiner Entourage. © gemeinfrei, Quelle OENBetwa mit der Frage: „Unter welchen Umständen können Sie sich vorstellen, in eine höhere Förderstufe zu wechseln?“ Damit ist die Katze aus dem Sack, die Freunde (und Freundinnen) sollen geben, fördern, spenden, am besten hinterlassen. Richtig: Ein veritabler sibirischer Tiger, das drittgrößte landbewohnende Raubtier, springt samt der Erinnerung an unseren Quiqui bei Punkt 9 aus der Büchse des Wesirs: „Es gibt Menschen, die in ihrem Testament die Bagdad Tanzcompagnie bedenken. Können Sie sich auch vorstellen, die Bagdad Tanzcompagnie zu bedenken?“ Aber vor dieser Peitsche noch ein wenig Zuckerbrot: „Möchte Sie ein besonderes Erlebnis mit uns teilen, das Sie mit der Bagdad Compagnie verbindet?“ Oh, wie das schmeichelt.
Doch dann wird direkt mit der pragmatischen Keule zugeschlagen. Bei uns in Bagdad weiß man jetzt: Der beste Freund ist der tote Freund, Hinterlassenschaft inklusive.
"Sheherazade", gemalt von Sophie Gengembre Anderson(1823–1903). © gemeinfrei Nicht nur die armen Witwen, Waisen und Alleinerzieherinnen fühlten sich plötzlich ungeliebt, unwillkommen und übersehen. Da staunte der Wesir und beschloss, einem alten Brauch zu folgen, der sich gut macht, aber nichts ändert. Er entschuldigte sich.  Der Wunsch nach der letzten Verfügung bleibt aufrecht. Ja, die Sitten und Gebräuche bei uns in Bagdad sind sonderbar. Was Sie vielleicht nicht wissen, der Bagdad Tanzpalast untersteht dem Sultan, der hat genug Förderer und Mäzene, er hat es nicht notwendig, bei den Besucher:innen zu betteln. Eben, die Rede von den Edelmetallen und den exklusiven Gesprächen mit dem Wesir als Belohnung für die Marie ist ja ein Märchen.
Ein Märchen aus tausendundeiner Nacht.
In Wien gäb’s so etwas nicht.

„Bei uns in Bagdad“, das Märchen vom Freundeskreis, erzählt nach dem Studium eines Fragebogens, der an die Mitglieder des geschlossenen Ballettclubs der Staatsoper und Volksoper verschickt worden ist.
Am 22.6.2022 haben der Ballettdirektor, Martin Schläpfer, die kaufmännische Direktorin, Simone Wohinz, und die Chefdramaturgin, Anne do Paço Auskunft über den Ballett-Spielplan 2022/23 gegeben.
Bekannt gemacht hat Schläpfer das Programm 2022/23 bereits am 30. April 2022 im Rahmen der Vorstellung des Opern-Programms der kommenden Saison durch Operndirektor, Bogdan Roščič. Ausführliche Erläuterungen finden sich überdies im Spielzeitheft 2022/23 der Wiener Staatsoper.
Titelfoto © Lois Lammerhuber