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„Onegin“: Festlicher Abschied von Nina Poláková

Nina Poláková: Zum Abschied in Hochform.

Die Letzte Vorstellung dieser Saison des Balletts „Onegin“ von John Cranko war der Ersten Solotänzerin Nina Poláková gewidmet. Nach mehr als 15 Jahren im Ensemble des Wiener Staatsballetts hat Poláková Wien verlassen, um in ihrer Heimat die künstlerische Leitung des Balletts am slowakischen Nationaltheater in Bratislava zu übernehmen. Mit ihrer Lieblingsrolle, der Tatjana im Ballett „Onegin“, hat sie sich, bereits als Gast, am 11.Jänner vom Publikum und ihrem Ensemble verabschiedet.

Der letzte Tanz: Halb zog er sie, halb sank sie hin. Nina Poláková mit Eno Peçi.Für Nina Poláková, die 10 Jahre, von 2011 bis 2021, als Erste Solotänzerin Aufmerksamkeit und Liebe des Publikums erobert hat, ist es eine Rückkehr zu ihren Anfängen. Nach ihrer Ausbildung am Tanzkonservatorium Bratislava ist die junge Tänzerin aus Trnava 2003 als Solistin des Balletts am Nationaltheater engagiert. 2005 ist sie ins Corps des Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper (ab der Direktionsära von Manuel Legris: Wiener Staatsballett) aufgenommen worden und drei Jahre später zur Halbsolistin avanciert, die Zwischenstation Solotänzerin hat sie 2008 erreicht, und schon 2011 wurde sie von Manuel Legris zur Ersten Solotänzerin ernannt.
Fortan war sie in allen großen klassischen und neoklassischen Handlungsballetten zu sehen und ebenso in handlungsfreien Stücken von Balanchine über Forsythe bis Wheeldon. Poláková verkörperte nicht nur in den klassischen und romantischen Balletten Märchenfiguren, sondern konnte sich besonders auch in handlungslosen Stücken ausdrücken, vor allem in Pas de deux mit Roman Lazik als Partner. Der wird am 14.1. in George Balanchines Choreografie „Liebeslieder Walzer“ als Partner on Claudine Schoch tanzen.
Auch diesem Liebespaar bleibt das Glück nicht hold. Sonia Dvořák ist Olga, Davide Dato ihr heißblütiger Bräutigam, Lenski. So war in der Abschiedsvorstellung Eno Peçi Polákovás Partner. Ihr Einfühlungsvermögen in den Charakter der Tatjana kann die neue Kollegin von Martin Schläpfer mit jedem Partner ausdrücken und sowohl das junge, naive Mädchen, das vom Liebesblitz getroffen wird, als auch die die reif gewordene Ehefrau im sicheren Hafen emphatisch interpretieren. Im letzten Pas de deux ist das Dilemma der nun in St. Petersburg lebenden Tatjana auch als Zuschauerin körperlich spürbar. Soll sie das Abenteuer wagen und Onegin folgen oder, wie es sich gehört, beim respektierten Ehemann bleiben? Immer wieder gibt sie sich einen Ruck, um der Vernunft und Anständigkeit den Vorrang zu geben, dann überschwemmen sie wieder die Emotionen und sie wirft sich dem innerlich hohlen Dandy in die Arme.Noch ist alles offen: Tatjana (Poláková) sieht Onegin (Eno Peçi) und wird von Liebesgefühlen durchglüht.

Dass diese Vorstellung wie aus einem Guss erscheint und die Freude sämtlicher Solistinnen und Solisten am Tanzen sichtbar war, liegt wohl auch daran, dass das alte Ensemble, die Freundinnen und Freunde Polákovás noch einmal vereint waren: Davide Dato als Lenski, Rebecca Horner als Mutter der Schwestern Larina, Eno Peçi als Onegin und Andrey Teterin als Fürst Gremin. Sonia Dvořák, die seit der vergangenen Saison als Halbsolistin engagiert war und in dieser Saison von Direktor Martin Schläpfer zur Solistin ernannt worden ist, ist eine klassische Tänzerin, die sich an das Niveau des Ensembles noch anpassen muss. Davide Dato (Lenski) tanzt seine Furcht vor dem Tod. Iim Sinne des Abends für Nina Poláková wäre Elena Bottaro passender gewesen. Wie Lazik arbeitet jedoch auch sie mitten in den Endproben mit Partner Denys Cherevychko für „Liebeslieder Walzer“.
Dieser Abend gleicht einer Gala, auch wenn die unverständlichen Eintrittsbedingungen viele Interessierte von einem Besuch abgehalten haben, war der Applaus nach den Pas de deux und auch nach den Tänzen des Corps (der schweißtreibende „russisches Tanz“ der jungen Männer auf dem Dorf war der Höhepunkt des ersten Aktes) warm und herzlich. Eigentlich gibt es bei einer Gala nichts zu kritisieren, aber ein Wort zu Davide Dato, der in Bestform, tanz- und spielfreudig, einen wunderbaren Lenski gezeigt hat, sei gestattet. Auch er weiß immer genau, wen er darstellt, wer er auf der Bühne ist, diesmal eben ein fröhlicher Bräutigam, den die Wut packt, wenn ihn der Freund aus der großen Stadt, Onegin, nicht respektiert. Ball bei den Gremins: Tatjana und ihr Gemahl (Nina Poláková und Andrey Teterin).Wenn sich dann der junge Mann, der so gern ein Dichter sein möchte, vor dem nahen Tod fürchtet, dann teilen sich die Gefühle auf zwei Ebenen, da sind Trauer und Melancholie zu spüren, weil da ein junger Mann aus übertriebenem Ehrgefühl gleich sterben muss, und gleichzeitig Freude und Entzücken, weil ein Künstler Gedanken und Emotionen mit dem Körper ausdrücken kann und sich so biegsam und gelenkig zeigt, dass man meint, gleich zerbricht er. Noch ein letztes Mal ist in dieser Vorstellung die Magie zu spüren, die das präzise trainierte Ensemble des Wiener Staatsballetts unter Manuel Legris ausgestrahlt hat. Das Wiener Staatsballett, von der Corpstänzerin in der hintersten Reihe bis zu den Ersten Solist:innen ganz vorn, war zu einem Tanzkörper verschmolzen, in dem alle Glieder miteinander verzahnt und harmonisch verbunden waren, da war mehr als eine Compagnie mit hervorragenden Tänzer:innen zu genießen.Sein Flehen nützt nichts, Tatjana widersteht Onegins Liebesgewimmer. (Poláková, Peçi) Die Bedeutung des Balletts „Onegin“ für Ballettcompagnien in aller Welt und die Liebe des Publikum dafür lässt sich an der Aufführungszahl in Wien ablesen. Obwohl John Crankos Ballett nach dem Versroman „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin (1799­–1837) erst 2006, knapp 40 Jahre nach der Uraufführung der endgültigen Fassung, vom Ballett der Wiener Staatsoper übernommen worden ist, trägt die zu Ehren von Nina Poláková am 11. Jänner 2022 gezeigte Vorstellung die Nummer 57. Es war die letzte „Onegin“-Vorstellung dieser Saison, doch werden Tatjana und Onegin, Olga und Lenski mitsamt Tanten und Onkeln, Landvolk und St. Petersburger Gesellschaft weiterleben und auch in den kommenden Jahren auf der Bühne ihr Schicksal erleiden.

57. Aufführung anlässlich des Bühnenabschieds von Nina Poláková:
„Onegin“, Ballett in drei Akten und sechs Szenen von John Cranko nach dem Roman in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin. Roman Lazik mit Bühnenpartnerin Nina Poláková. Vor zwei Jahren wurden die beiden Ersten Solisten des Wiener Staatsballetts in ihrer Heimat Slowakei ausgewählt, als "Gesichter des Slowakischen Theaterjahres 2020" zu fungieren. © Marko PopovićMusik Peter I. Tschaikowski eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze. Choreografie und Inszenierung John Cranko.
Musikalische Leitung Robert Reimer. Orchester der Wiener Staatsoper.
Wiener Staatsballett in der Staatsoper. 11. Jänner 2022.
Fotos: Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor