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Ballettpremiere: Britischer Abend, eine Vorschau

Jakob Feyferlik, Liudmila Konovalova © Ballett Insight auf youtube

Die erste Ballettpremiere der aktuellen Saison an der Staatsoper ist ein Abend, wie ihn das Publikum schätzt. Drei unterschiedliche Teile, abwechslungsreich und gefühlvoll. Drei einaktige Werke von drei britischen Choreografen werden zum ersten Mal vom Wiener Staatsballett getanzt. „Concerto“ zur Musik von Dimitri Schostakowitsch hat Kenneth MacMillan zu seinem Einstand als Ballettdirektor in Berlin 1966 geschaffen. Schon drei Jahre davor hat der ältere Frederic Ashton für Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn „Marguerite and Armand“ kreiert, und zwischen die beiden herausragenden,stilprägenden Choreografen des 20. Jahrhunderts schiebt sich auf dem Programmzettel ein Zeitgenosse, Wayne McGregor. Wie einst Ashton und MacMilla, ist er principal choreographer des Balletts der Londoner Oper. Erst seit 1957 tragen Opernhaus und Ballettcompany im Namen den Titel „Royal“.

Sir Kenneth MacMillan, Choreograf von "Concerto", © LizenzfreiSir Kenneth MacMillan, 1929–1992, eröffnet den Abend, der aus dramaturgischen Gründen nicht chronologisch, sondern der Abwechslung und einem Spannungsbogen zuliebe geordnet ist. „Concerto“, das Geschenk an das Ballett der Berliner Oper, macht Schostakowitschs 2. Klavierkonzert in h Moll sichtbar: Gestochen scharfe Neoklassik, noch ganz im Stil von George Balanchine. Zwei Paare und eine Solotänzerin werden im Hintergrund von drei weiteren Paaren und dem Corps von 16 Frauen und acht Männern begleitet – Allegro, Andante, Allegro. Jeder Satz hat einen anderen Charakter. Im Schlusssatz fehlt der Tänzerin, bei der Wiener Premiere Solotänzerin Alice Firenze, der Partner. Bei der Uraufführung in Berlin war er noch geplant, doch knapp davor verhinderte ein gebrochener Fuß seinen Auftritt. Silvia Kesselheim tanzte allein. Dem Choreografen gefiel dieses unvorhergesehene Solo so gut, dass er auch in weiteren Aufführungen den letzten Satz von „Concerto“ als nur von der Ballerina getanzten Pas de deux belassen hat. Wenn schon in „Concerto“ keine Geschichte erzählt wird, so gibt es doch eine dahinter. Für jede Tänzerin ist dieser Part von besonderem Reiz, schwierig und virtuos. Umringt vom Corps, stürmt sie über die Bühne auf der Suche nach dem Kompagnon. Aus dem Video auf youtube: Das Corps de Ballet probt "Concerto" © Wiener Staatsballett / Delbeaufilm
Nikisha Fogo und Denys Cherevychko tanzen das Hauptpaar im ersten Satz des Klavierkonzerts; Nina Poláková und Roman Lazik sind das Paar im Andante. MacMillan hat dem Mann eine tatsächlich tragende Rolle zu gewiesen. Er ersetzt die Stange, während die Ballerine ihr Port de bras übt.
Anders als bei der Uraufführung stammt das Bühnenbild nicht von Jürgen Rose, sondern von MacMillans junger Frau Lady Deborah MacMillan. Sie soll, so erzählt sein Biograf, dem schwierigen, introvertierten Tänzer und Choreografen „sehr gut getan“ haben. MacMillan liebte vor allem das abendfüllende Handlungsballett, in dem er lebendige, oft tatsächlich gelebt habende Personen auftreten ließ. Jede Rolle ist feinst charakterisiert, Gedanken und Gefühle der handelnden Personen werden ohne Worte, nur im Tanz, ausgedrückt. Im Wiener Repertoire sind zwei berühmte Beispiele davon: „Manon“ und „Mayerling“.

Wayne McGregor Choreograf von "Eden Eden". © the-talks.com  / Photo by Linda NylindDie Pause gibt Gelegenheit, sich auf eine Zeitreise vorzubereiten. Auch die Tänzer*innen müssen das. Sie vergessen die eleganten an der Klassik orientierten Bewegen und bereiten sich darauf vor, mehr als das Mögliche von ihrem Körper zu fordern.
Wayne McGregor, geboren 1970, ist nicht nur studierter Choreograf sondern auch Semiotiker und interessiert sich vor allem für den Körper des Menschen, dessen Aufbau, Möglichkeiten und Veränderungen. Geschichten mag er keine erzählen, lieber die Zuschauer*innen zum Denken anregen. „Die Tänzer arbeiten auf der Bühne, das Publikum soll sich nicht zurücklehnen und konsumieren.“ Themen aus den Humanwissenschaften, aus Gentechnologie, Robotik und Ethik versucht er im Tanz anzusprechen und zur Diskussion zu stellen."Eden Eden", Uraufführung in Stuttgart, 2005. © http://www.ruhrnachrichten.de/l
In „Eden Eden“, das zeigt schon der Titel geht es um die Problematik des Klonens. Erst zwei Compagnien, das San Francisco Ballet und das Atlanta Ballet in den USA, haben die Erlaubnis erhalten, Wayne McGregors Kreation, entstanden 2005 für das Stuttgart Ballett, zu tanzen. Jetzt wurde auch dem Wiener Staatsballett die Ehre zuteil. McGregor hat selbst die Tänzer ausgesucht; sein Ballettmeister Antoine Vereecken, früher Tänzer in McGregors eigener Company Random Dance, hat „Eden Eden“ mit neun Tänzer*innen einstudiert.
Im Gespräch mit Gabriele Schacherl erzählt Natascha Mair (Tänzerin 1 mit Tänzer 1, Zsolt Török) von den Anstrengungen, dem Körper das extreme, völlig neue Bewegungsvokabular abzuverlangen. „Aber dieses Stück macht auch viel Freude, wir dürfen sehr viel selbst erfinden, die Bewegungen kommen aus unserem Körper.“ „Deshalb“, sagt Vereecken, „werden Sie nie dasselbe Stück sehen. Jede Company, auch jede neue Besetzung zeigt ein anderes Stück. " Das Atlanta Ballett zeigt "Eden Eden", Oktober 2010 (Tara Lee mit Christian Clark ) © http://www.danceinforma.com/2011/10/24/atlanta-ballet-the-four-seasons-and-eden-l-eden/Die Musik ist von Steve Reich, der dritte Teil seiner Multimedia Oper „Three Tales“ von 1997. Dieser Teil trägt den Titel „Dolly“ und damals war klar, dass damit das erste geklonte Säugetier, das Schaf Dolly, gemeint war. McGregor musste um die Erlaubnis kämpfen, Reich wollte gar nicht, dass nach seiner Musik getanzt wird. Mit Charme und Überredungskunst gelang es dem jungen Briten schließlich, den alten Amerikaner weich zu klopfen. Für eingefleischte Ballettfans ist auch diese Musik ein harter Brocken. Reich behandelt in diesen „Drei Geschichten“ die gleichen Themen wie McGregor und legt über die Musik Fragmente aus Interviews mit Wissenschaftlern und Philosophen. Francesco Costa tanzt sein Solo ohne Musik, nur zum Text. Auch das funktioniert. Man muss die O-Töne nicht unbedingt verstehen, kann den Tanz um die Evolution der Menschheit, die bei McGregor im Paradies ihren Anfang nimmt, staunend genießen. Und den Text später nachlesen.

Sir Frederick Ashton, Choreograf von "Marguerite and Armand". © LizenzfreiNoch einmal eine Pause. Diesmal bitte Taschentücher bereithalten.
Wir kehren zurück ins 19. Jahrhundert und erleben die Liebesgeschichte von Marguerite und Armand. Frederick Ashton hat „Marguerite and Armand“ 1963 für das Traumpaar Rudolf Nurejew, 25, und Margot Fonteyn, 44, kreiert. Inspiriert von Alexandre Dumas, dem Jüngeren und seinem Roman „Die Kameliendame“, wählte er auch Musik aus dem 19. Jahrhundert, Für das Traumpaar Rudolf Nurejev und Margot Fonteyne geschaffen:  "Marguerite and Armand". © https://www.youtube.com/watch?v=_QACstpU6F4Franz Liszts hochromantische Klaviersonate in h Moll, ein technisch anspruchsvolles Werk. Technisch anspruchsvoll sind auch die Pas de deux des Paares, das Cops spielt eher eine Statisten-Rolle.

Jakob Feyferlik und Liudmilla Konovalova, Marguerite und Armand. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Während das legendäre Paar lebte, hat niemand gewagt dieses Ballett nach zu tanzen. Jetzt sind mehr als 50 Jahre vergangen, nur noch wenige haben das Traumpaaar 1967 noch auf der Bühne der Wiener Staatsoper gesehen. Jakob Feyferlik und Liudmila Konovalova. haben keine Skrupel, ihr höchst eigenes Liebespaar zu tanzen. Solotänzer Feyferlik hat erst kürzlich seinen 21. Geburtstag gefeiert, mühelos kann er sich in den verliebten Jüngling hineinversetzen, der einer erwachsenen Frau verfallen ist. Ein Leben, eine Liebe und das tragische Ende. Fünf Pas de deux, technisch überaus anspruchsvoll, anmutig, elegant und hochemotional. Herzzerreißend.

Ballettpremiere: MacMillan | McGregor | Ashton: “Concerto” | “Eden Eden” | “Marguerite and Armand“. 31, Oktober 2017, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Nächste Vorstellungen: 3., 6., 10. November.