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„Warum mögen die Österreicher ihre Kunst nicht?“

Walter Heun, bis Sommer 2017 Intendant des Tanzquartiers © Tanzquartier

Walter Heun fühlt sich prächtig. Im Sommer 2017 geht nach acht Jahren seine Intendanz im Tanzquartier zu Ende. Zu bereuen habe er nichts, sagt er. Weder die Zeit als künstlerischer Leiter und Nachfolger von Sigrid Gareis, der ersten Intendantin des Tanzquartiers, noch dass er sich nicht um eine Verlängerung bemüht habe. „Das habe ich von Anfang an gewusst und meinen Mietvertrag in Wien bis 2017 limitiert. Dennoch wird er weiterhin in Wien bleiben.

„Ich habe ja meine Aufgaben in München (Anmerkung: die Tanz- und Theaterproduktionsfirma Joint Adventures) weiterführen können und das werde ich weiterhin tun.“ Aber Heun hat sich in Wien verliebt – das darf doppeldeutig gelesen werden – und wird hier bleiben. Ein halbes Jahr vor seinem endgültigen Abschied hat er noch einen Sieg gegen den Amtsschimmel errungen: Das Tanzquartier ist nicht mehr unsichtbar. „Jetzt steht auch drauf, was drinnen ist“, nämlich auf der ehemaligen Winterreithalle, die die Hallen E und G beherbergt, der elegante Schriftzug „Tanzquartier Wien in Halle G“ samt Logo. Gern erzählt Heun, dass er sich, um dieses Versprechen, das ihm bei seinem Amtsantritt gegeben worden ist, endlich erfüllt zu bekommen wie Buchbinder Wanninger (Karl Valentin) gefühlt habe. Doch nun ist der Ritt durch die Instanzen beendet, Heun ist zufrieden. Endlich steht drauf, was  drin ist: Tanz © Tanzquartier

Noch mehr freut er sich, dass er sein Versprechen, „den Kreis zu erweitern“ erfüllen konnte. Nicht nur, was den äußeren Kreis, das Publikum, betrifft, das sich seit der Intendanz Gareis’ ebenso erweitert wie auch neu strukturiert hat. Heun wirft mir dankenswerter Weise keine Zahlen an den Kopf, die aufwärts kletternde Kurve kann man am zufriedenen Lächeln der Geschäftsführerin Ulrike Heider-Lintschinger bei den Saisonpressegesprächen ablesen.

Was den inneren Kreis, die Arbeit und das vielfältige Angebot im Tanzquartier betrifft, ist Heun nicht mehr als zufrieden, stolz sogar. Für ihn ist das Tanzquartier nicht nur ein Ort des Zeigens und der Unterhaltung, sondern „auch ein Ort des Denkens.“ Als Beispiel nennt er die „Scores“, künstlerisch theoretische Parcours, die das Tun und das Darüberreden vereinen. Zusammenfassungen und Ergebnisse werden auch (auf Englisch) in der Reihe „Scores“ publiziert. „…mittlerweile sind die «Scores» zu einem Begegnungsort für einen gesellschaftspolitischen Diskurs geworden, bei dem es nicht nur darum geht, Kunst zu konsumieren, sondern sich aktiv mit ihren Möglichkeiten auseinanderzusetzen“ stellte die NZZ nach einem „Besuch im Tanzquartier“ begeistert fest. Nicht nur das, in Wien arbeitende Tänzer_innen und internationale Veranstalter_innen bescheinigen immer wieder die herausragende und fruchtbringende Position des Tanzquartier Wien.

Demnächst zu Gast im Tanzquartier: Radouane El Meddeb beim Festival "out of b/order" ©  Agathe PoupeneyRandbemerkung: Bekam ich von der in Wien hängen gebliebenen Tanz- und Performancegeneration vor dem Tanzquartier auf die Frage „Warum?“ „Der Liebe wegen“ zur Antwort, so höre ich heute immer wieder: Wegen des Tanzquartiers“. Die Trainingsmöglichkeiten, Workshops, die internationalen Netze (Heun ist ein begeisterter und erfolgreicher Netzwerker) und die kürzlich aufgebaute Mediathek werden öfter genannt als Auftrittsmöglichkeiten. Wobei diese sich nicht nur auf die Hallen G + E beschränken. Auch in den Studios des Tanzquartiers ist Neues, Interessantes, manchmal auch Unfertiges zu sehen.

Mitunter höre ich Klagen von Tänzer_innen / Performer_innen, dass es in Wien zu wenig Aufführungsmöglichkeiten gebe und das Tanzquartier auf zu eng gelegen Schienen führe. Ein Ruck geht durch Walter Heuns langer Gestalt, er wird lebhaft und widerspricht vehement: „Es gibt genügend Lokalitäten, in denen Tanz und Performance Platz findet, allein um die etablierten Theaterräume aufzuzählen, genügen mir fünf Finger nicht. Wir haben jetzt auch Kooperationen mit Museen, um neue Auftrittsräume zu entdecken.“ Wobei Heun das Leopoldmuseum als besonders kooperativ lobt. Was die eng gelegten Gleise betrifft, so sieht er keinen Grund sich zu verteidigen: „Wir müssen Neues entdecken, Künstler / Künstlerinnen aufbauen. Wäre das Tanzquartier in seiner Programmwahl konventioneller, dann wäre der Erfolg keineswegs größer. Das ist ein großer Irrtum. Da wären wir in Konkurrenz mit den großen Sommer-Festivals und hätte keinerlei Chance. Das funktioniert in Wien wie kommunizierende Röhren. Manchmal entwachsen auch Künstler dem Tanzquartier. Boris Charmatz etwa, der uns jahrelang begleitet hat, aber jetzt tritt er bei den großen internationalen Festivals auf, Ruhr Triennale etwa, da können wir nicht mehr mit. So kommen und gehen die Generationen.“ Zum Abschluss des Gesprächs gibt mir Heun ein einprägsames Zitat mit. Oscar Wilde hat es in seinem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ neben vielen anderen Bemerkungen über Kunst geprägt: „Die Kunst spiegelt in Wahrheit den Betrachter und nicht das Leben.“ Immer wieder zu Gast Publikumsliebling  Ian Kaler ©  Eva Wuerdinger

Was also wird uns demnächst spiegeln?

Aktuell das Festival „out of b/order“, bei dem „Künstler_innen, Theoretiker_innen und Kulturschaffende aus unterschiedlichen Geografien des erweiterten arabischen Raumes zusammentreffen.“
Der zweite Teil beginnt am 17.11. mit einer Lecture von der Nahost-Expertin Gudrun Harrer, Aufführungen in den Studios und dem Tanzstück „En Alerte“ (Taoufiq Izeddiou / Anania Danses) in der Halle G.

in der 2. Saisonhälfte wird der Frühling europäisch. Künstler_innen, die das Haus begleitet hat, werden eingeladen, sich vom scheidenden Intendanten zu verabschieden. Heun, der sich gern auf Englisch ausdrückt (das Haus ist eben international) plant einen "European Spring". Walter Heun in höheren Sphären © Tanzquartier „Da ist allerdings noch die Finanzierungsfrage offen. Am Ende der Saison würde ich gerne noch einmal einen Blick auf die in Österreich lebenden und arbeitenden Künstler_innen richten.“ Das Impulstanzfestival 2015 hat gezeigt wie reich die heimische Szene ist. Da stimmt Heun zu, wirft jedoch ein, dass „es da auch jemanden geben muss, der diese Leute fördert und begleitet. Und denen die so gerne das Retroschwert gegen das Tanzquartier schwingen möchte ich entgegenschleudern: Leute, warum mögt ihr eure eigene Szene nicht?‘ Mögt Ihr auch euer eigenes Essen nicht?“ Schon vor 30 Jahren, als Heun (54) in Wien zu einer Diskussion geladen war, fiel ihm auf, dass die Österreicher ihre Kunst nicht schätzen. „Außerdem“, so meint er, „gibt es hier immer wieder die Bewertung von richtig und falsch.“ Den Grund dafür sieht er, in „nicht erfüllten eigenen Erwartungen “ Die letzte Frage – „Wird die Nachfolgern / der Nachfolger unsere Erwartungen erfüllen?“– bleibt als rhetorische unbeantwortet.

Walter Heun im Gespräch. Heun ist seit 2009 künstlerischer Leiter des Tanzquartiers; sein Vertrag endet mit der Saison 2016/17.