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Die Konovalova, ein ungezogenes Mädchen

L. Konovalova ist La fille mal gardée © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Liudmila Konovalova, Erste Solotänzerin im Wiener Staatsballett, ist ein bezauberndes Dornröschen, eine edle Schwanenprinzessin und ihr furioses schwarzes Double, doch sie kann auch das schelmische, schlecht erzogene Bauernmädchen Lise in „La Fille mal gardée“ sein. Die Wiederaufnahme des beliebten romantischen Balletts ist für die Ballerina eine echte Premiere. Mit Fleiß und Sachkenntnis hat sie sich die Choreografie von Frederick Ashton erarbeitet.

Einmal nicht Prinzessin. Auf der Bühne das wirkliche Leben tanzen. Gegen die Mutter rebellieren, die den reichen aber tollpatschigen Bräutigam schon an der Hand hält, mit dem Auserwählten im Heu liegen, fröhlich und frei sein, den ganzen lieben Tag lang.
Liudmila Konovalova kann das einen Abend lang. Sie ist das schlecht behütete Mädchen, Lise, „la Fille mal gardée“, das der Mama samt der arrangierten Hochzeit ein Schnippchen schlägt, den begriffsstutzigen Alain im Regen stehen lässt und mit dem Knecht Colas durchbrennt. Zwar wird das verspielte Pärchen wieder eingefangen, doch ohne es zu ahnen, kuppelt die Mutter. Sie sperrt Lise in ihr Zimmer, wo sich der geliebte Colas bereits versteckt hat. Ob der Faux pas rechtzeitig repariert werden kann ist fraglich. Der Dichter Denis Diderot, begann zu stottern, zu peinlich ist die Geschichte: „„Das Mädchen und sein zärtlicher Freund waren gerade dabei, waren gerade dabei... Nichts zu sagen ist genug gesagt...“

Diderots Erzählung ist eine Bildbeschreibung: Auf dem Hof schimpft eine erboste Mutter ihre weinende Tochter aus, während sich der Liebhaber davonstiehlt. „Die Maßregelung“ hat Pierre-Antoine Baudouin 1789 gemalt und schon wenige Monate später wurde die Szene vom Tänzer und Choreografen Jean Dauberval in ein ganzes Ballett eingebaut und im Grand Théâtre von Bordeaux uraufgeführt. Das war am 1. Juli 1789, doch weil Lise und Colas, die strenge Mama, en Travestie von einem Mann getanzt, und der einfältige Alain nicht gestorben sind, lebt dieses lebhafte „Strohballett“ (ursprünglicher Titel) noch heute. Und Fanny Elßler tanzt immer mit. Knappe 60 Jahre nach der Uraufführung hat die weltweit bekannte Wiener Tänzerin die ungehorsame Lise in Sankt Petersburg getanzt und einen Pas de deux kreiert, den Frederick Ashton († 1988), Choreograf der in Wien gezeigten köstlich aufgefrischten Fassung, übernommen hat. Der „Fanny-Elßler-Pas de deux“ und der übermütig getanzte „Pas de ruban“ sind nicht die einzigen kurzweiligen Höhepunkte dieses Ballettklassikers, in dem sich zum ersten Mal lebendige Menschen statt Märchenfiguren bewegen. Lise und ihr Colas (Konovalova, Gabduliin) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

In dem komplizierten Duo mit dem rosa Seidenband, spielen Lise und Colas mit ihren Körpern „Abnehmen“. Auf der gesamten Erdkugel kennt man dieses Spiel, im Schulhof von Mädchen gespielt oder auch als Ritual zelebriert: Mit den Händen wird ein verknüpfte Schnur zu einem Muster gelegt, beim Abnehmen bildet die Mitspielerin ein neues Muster. In England spielen die Mädchen „Cats Cradle“, auf den Osterinseln werden mittels „kai, kai“ auf Rapanui Geschichten erzählt. Auf der Ballettbühne nutzen Lise und Colas das glänzende Band zum Flirten, zur zärtlichen Bondage. Liudmila Konovalova blickt gespielt ernst: „Das muss ganz leicht und locker aussehen, aber es ist sehr schwer. Wir wickeln uns ein, aber wir dürfen uns nicht verwickeln.“
Die leichte Komödie ist auch Kindern verständlich, ist doch allerhand los auf dem Bauernhof. Ein stolzer Hahn tritt mit seiner Hühnerschar auf, die Ernte wird eingefahren, plötzlich bricht ein Gewitter los, duscht die beiden Ausreißer. Ein Ballett für die ganze Familie.

Die Tänzerin der Titelrolle hat sich auch über die Geschichte informiert. „Das mache ich immer, ich muss wissen, wer ich bin und auch den Hintergrund kennen. Ashton hat seine Version 1960 herausgebracht und ich muss mich erst an seinen Stil gewöhnen. Er liebt weit ausholende Bewegungen, alles ist viel intensiver, da kann man nicht nur so nebenbei den Kopf wenden, das muss eine exakte, konzentrierte Bewegung sein. Das gibt Energie und wir können damit sehr gut echte Emotionen ausdrücken.“ Das bekommt vor allem Masayu Kimoto, der den von ihr mit Händen und Füßen und angeekelter Miene zurückgewiesen wird, zu spüren. Konovalova lacht beschwichtigend: „Wir kommen gut miteinander zurecht, ich fühle nicht für oder gegen Robert oder Masayu, sondern meine Empfindungen gelten Colas und Alain.“ Die Kollegen und Kolleginnen erzählen, dass „Ljuda“ mit allen gut zurechtkommt. Besonders wenn die erfahrene Tänzerin mit Debütanten tanzt, zeigt sie eine zurückhaltende Fürsorglichkeit. Doch zu sich selber ist sie hart, trainiert auch außerhalb der angesagten Trainings- und Probenzeiten. Will sie die Beste sein? „Nein, diesen Ehrgeiz habe ich nicht... Aber ich will meine Grenzen kennen und auch den Auftritt genießen, ich will nicht mit Stress auf die Bühne. Nach der Schwerarbeit will ich Freude haben und frei sein. Das gelingt nur, wenn ich mich nicht mehr um Haltung und Schritte sorgen muss, wenn ich alle Schwächen beseitigt habe. ;Die Beste’, das gibt es doch gar nicht, Tanzen ist kein Sport. Die Zuschauer haben ohne unterschiedliche Vorlieben.“

Prinezssin Liudmila © Aus dem Archiv : www.konovalova.com/de/gallery.htmlDie Konovalova wird geliebt, weil sie nimmermüde rasante Pirouetten dreht, oft mit der „double Tour“, der doppelten-Drehung. Wie aus Beton gegossen, steht sie kerzengerade auf der Spitze. „Das ist auch eine Veranlagung, ich habe diese gerade Achse, um die Balance zu halten. Trainieren und üben muss ich trotzdem, auch wenn der Körper stimmt, nur so hinstellen und lostanzen funktioniert nicht.“ Trainiert hat sie auch ihr Durchhaltevermögen, ihre eiserne Disziplin: „Oft denke ich, ich kann nicht mehr, es ist aus. Doch dann weiß ich, dass ich der Choreografie und dem Publikum schuldig bin, nicht aufzugeben. Da mache ich einfach weiter, bis die Variation zu Ende ist.“ Strahlend knickst sie dann im tosenden Applaus. Ihre Bühnenpräsenz, die leuchtenden Augen, die im Lauf der fünf Wiener Jahre immer weicher gewordenen Bewegungen machen sie zum Star. „Anmut, Schönheit und Eleganz“ bescheinigen ihr die Kritiken, „Eine wahre Primaballerina!“. Einschränkung: „Ich liebe meinen Beruf aber ich liebe auch das Leben draußen, ich brauche es zur Inspirationen. Ich will nicht in falsche, tote Emotionen kippen.“
„Natürlich mag ich den Applaus, aber der ist nicht so wichtig. Jetzt habe ich ihn im „Don Quixote“ als Kitri gehabt, das tut gut. Doch ich tanze auch gern Stücke, die nicht so bejubelt werden. Immer nur die alten klassischen Stücke, das wäre mir zu langweilig.“ Ashtons „schlecht behütetes Mädchen“ (bekannt auch unter dem ebenso holprigen deutschen Titel „List und Liebe“) ist eine solche Herausforderung.

Verführerisch als Odile in "Schwanensee": Konovalova. © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn

Zur Einstudierung ist die schwedische Tänzerin Malin Thoors nach Wien gekommen. Aufmerksam und kritisch sieht sie den tastenden Schritten der Tänzerinnen zu, die das Ballett erst lernen, die andere Hälfte hat es bereits in Knochen und Muskeln, hat doch i das Tändeln und Bändeln nur eine Pause gemacht, seit es seit 1986 im Wiener Repertoire ist. Da stand die Konovalova noch auf wackligen Kinderbeinchen und wusste noch nichts vom schwindelerregenden Thrill der exakten Drehung.

Im September war Liudmila Konovalova wieder einmal in ihrer Geburtsstadt Moskau: Beim Kremlin-Festival tanzte sie im Kreml-Palast ihre berühmten 32 Fouettés als Odile im Ballett „Schwanensee“. Heimweh? Energisch schüttelt sie den Kopf: „ich habe hier meine Heimat gefunden. Ich will nicht mehr zurück, aber ich bin gerne Gast.“ Nicht nur in Moskau, auch in Bordeaux, Rom oder Tokyo und Ufa. „ Überall bin ich gerne Gast. Aber zu Hause bin ich in Wien.“ Fehlt nur noch der österreichische Pass.

„La fille mal gardée“, Ballett in zwei Akten nach einem Libretto von Jean Dauberval, Choreografie Frederick Ashton, Musik Ferdinand Hérold, frei bearbeitet und eingerichtet von John Lanchbery nach der Fassung von 1828. Mit Liudmila Konovalova, Robert Gabdullin, Masayu Kimoto: 28.11., Staatsoper. 

Weitere 9 Vorstellungen in wechselnder Besetzung von 9.12. bis 20.1.

Das Porträt ist in gekürzter Fassung im Schaufenster der Tageszeitung Die Presse vom 20.11. erschienen.