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Mei Hong Lin: „Die Brautschminkerin“ in Linz

Die Brautschminkerin (Andressa Miyazato) © Dieter Wuschanski

Hyperrealistisch, expressiv, in drastischen Bildern erzählt die Linzer Tanzchefin Mei Hong Lin von Gewalt und Tod, Abschied und Trauer. Ausgangspunkt ist das Massaker und der anschließende 40 Jahre lang quälende „Weißen Terror“ in Taiwan. Als Symbol für das Leiden der Urbevölkerung dient eine Erzählung der taiwanesischen Autorin Li Ang, in der die Traumatisierung eines ganzen Volkes als Hintergrund der Handlung dient. Im Zentrum steht eine Frau, die ihren toten Mann und den verlorenen Sohn betrauert.

Die Frau ist doppelt vorhanden, als „Mutter der Gegenwart“, eindrucksvoll dargestellt von Andressa Miyazato und ihr jüngeres Ich, die „Mutter der Vergangenheit“, noch nicht erstarrt, im goldgelben Kostüm, getanzt von Nuria Gimenez Villarroya. t Nuria Gimenez Villarroya als "Mutter der Vergangenheit"   alle Bilder © Dieter Wuschanski

Mei Hong Lin, Folkwang geschult, zeigt ausdrucksstarkes, bilderreiches, Tanztheater. Bedrohlich dröhnen die Trommeln, blutige Körper werden über die Bühne gezerrt, Schreckensschreie ertönen, Angstwimmern zerrt an den Nerven, Leichen werden auf Brettern aufgebahrt. Dann erhebt sich die zarte Stimme der Sängerin, leise klagt die Klarinette. Eine Frau trauert, um den Mann, der noch in der Hochzeitnacht entführt worden ist, um den Sohn, den sie verstoßen hat, weil er eine Frau sein wollte. Jetzt ist auch er tot. Seine Leiche liegt den gesamten Abend in einer von Stacheldraht bekränzten Grube im Vordergrund. Bernardo Pereira Ribeiro ist, bewundernswert unbeweglich, Ehemann und Sohn zugleich. Liebevoll wird er geschminkt, zusammengenäht und am Ende als Braut verkleidet. Die Mutter bittet den toten Sohn um Verzeihung und findet auch selbst Frieden. Der Stacheldraht entrollt sich, schwebt als Gloriole über der sterbenden Frau.

Gegenwart trifft auf Vergangenheit: Nuria Gimenez Villarroya  / Andressa Miyazato DieterWuschanskiAuch mit vielen anderen effektvollen Bildern, etwa der trauernden Bevölkerung, die sich unter blauen Schirmen mit Fotos der Toten in Händen in langsamen Marsch über die Bühne bewegt, am Ende im Hintergrund mit Laternen vorbeizieht, mit dem auf Grabsteinen tanzenden verängstigtem Volk, mit weißgekleideten und maskierten Bräuten zielt Mei Hong Lin punktgenau ins Gemüt des Publikums und nah vorbei an Kitsch und Pathos.

Zu dick aufgetragen. Fast als Comicfigur stellen die Choreografin und Kostümbildner Dirk Hofacker das Böse dar. Es ist nicht banal, wie die Philosophin Hannah Arendt festgestellt hat, sondern der Teufel in Person, mit blutigem Mund, der Peitsche in der Hand schreitet es im Stechschritt einher, vergewaltigt, mordet, quält. Geoffroy Poplawski verkörpert diese überzeichnete Figur, die für das gesamte Terror-Regime steht. Auch die Frauen aus Gegenwart und Vergangenheit begegnen ihm, werden ebenso wie die Toten achtlos zur Seite geworfen. Die Muuter verstößt den Sohn (Nuria Gimenez Villarroya,  Shang Jen Yuan.)

Mit einem wirksamen Bühnenbild schafft Dirk Hofacker ebenfalls Atmosphäre. In gedämpften Farben, vor allem Schwarz und Braun, gehalten wirkt der Raum wie eine Gruft, lautlos kann das Volk in die Seitengänge und den Hintergrund verschwinden, in ihrem offenen Sarg bleibt die Leiche stets sichtbar, die Mutter der Gegenwart, im Brautkleid, kehrt immer wieder zu dem Toten zurück. Andressa Miyazato ist eine in ihre Trauer versunkene Frau mit maskenhaftem Gesicht und fließenden Bewegungen. Man glaubt ihr, dass sie schließlich ihren Frieden findet.

Die in farbig gekleidete Mutter der Vergangenheit tritt immer wieder aus der Menge hervor. Einmal begegnen die beiden Frauen einander: Ein berührender Pas de deux, aggressiv und zärtlich, liebevoll und abweisen – ein Kontrast zum sonst das Stück beherrschende Ausdruckstanz samt Akrobatik.

Kontrastreich ist auch die Musik: Mit originalen taiwanesischen Harmonien und neuen Kompositionen von Li-Yu You und ihrem Bruder Yuan-Keng Yu (beide singen auch, Li-Yu You spielt die chinesische Griffbrettzither), die vor allem für Trauer, Grausamkeit, Angst und Schrecken eingesetzt werden. Als sanft säuselnde Erholung dienen die Kompositionen von Michael Erhard für Tasteninstrumente (Erhard), Saxofon, Klarinette, Querflöte (Jens Hunstein), Schlagzeug (Ewald Zach) und Cello (Lisa Kürner).

Tanz auf den Grabsteinen mit dem Datum des Mssakers: am 28.2 1947. (Andressa Miyazato)Das Tanzstück „Die Brautschminkerin“ hat seinen Titel von der Arbeit der Mutter bekommen, die nach dem plötzlichen Verschwinden ihres Mannes ihr Geld mit dem Schminken von Bräuten verdient. Das ungebräuchliche Wort betont die fremde Ferne, in der die Geschichte angesiedelt. Mei Hong Lin hat ihn bereits verwendet, als diese Choreografie 2011 am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt worden ist. Nicht nur der Titel sondern auch nahezu alle Mitglieder des kleinen Musikensembles und einige Tänzer und Tänzerinnen (Miyazato hat damals die „Mutter der Vergangenheit“ getanzt). Mei Hong Lin hat damals betont, dass sie mit dem Stück „ein persönliches Anliegen verbindet: jenen Opfern eine Stimme zu geben, die nicht mehr selbst für sich sprechen können oder allzu lange zum Schweigen verurteilt waren.“ Das Terrorregime hatte verboten über das Massaker  vom 22.2. 1947 zu sprechen. Es gehe ihr jedoch nicht „um die Darstellung der historischen Ereignisse in Taiwan,“ sie möchte die Folgen von Gewalt sichtbar machen. Der langanhaltende Premierenapplaus bestätigt, dass es ihr gelungen ist.

Mei Hing Lin: "Die Brautschminkerin", Tanzstück frei nach Motiven der taiwanesischen Autorin Li Ang. Musik von Michael Erhard und traditionelle taiwanesischse Musik. Bühne und Kostüme: Dirk Hofacker. Mit Gästen der kompanie Tanz Lin.z. Premier am 10. Februar 2017, Musiktheater Linz.
Weitere Vorstellungen bis inklusive 1. Juni 2017.