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In die Sonne schauen

Probenbild mit Romy Nagl und Doris Uhlich als Sonne.

Die Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich widmet sich in ihrer jüngsten Performance dem strahlenden Himmelskörper, der Sonne. Die Uraufführung hat im Herbst im Festspielhaus St. Pölten stattgefunden, zweimal hat Uhlich Sonne im Dezember im Volkstheater gezeigt. Bis ins MuseumsQuartier war nach 80 prallen, aufwühlenden Minuten im ausverkauften Haus der Jubel zu hören.

Doris Uhlich in der roten Sonne, doch nicht in der Morgenröte. In die Sonne schauen darf man nicht, das Licht ist zu hell, die Sonne wärmt und verbrennt auch und der Planet Erde, auf dem die Menschen leben, kreist, nicht als Einziger, unaufhörlich um den ebenso verehrten wie gefürchteten Stern. Die wahre Sonne auf der Bühne ist allerdings Doris Uhlich selbst. Die Erinnerungen an das Geozentrum, als die Menschen noch meinten, die Erde sei der Mittelpunkt des Universums, verblassen, das Wissen um das Heliozentrum, das die Sonne als Mittelpunkt beschreibt, wird unwichtig, heutzutage ist das Ich das Zentrum, um das die Menschen selbst kreisen. So sehen wir in einer aufregenden, abwechslungsreichen Performance das wunderbare Doris-Zentrum.
In ihren Anfängen ist Doris Uhlich mit ihrer Mutter Gertraud auf der Bühne gestanden und hat in die Zukunft geschaut. Uraufgeführt 2011 im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals, hat Mama Gertraud in Uhlich Tochter Doris gezeigt, wie diese in 30 Jahren performen wird. Zwei Sonnen, eine kleine (Romy Nagl) und eine große (Doris Uhlich), sehen einander in die Augen. Noch ist es nicht so weit, doch die erwachsene Doris, geboren 1977, hat schon Lust. der kleinen Doris in die Augen zu sehen.
Dazu hat sie die zehnjährige Romy Nagl eingeladen, die ihre Doppelgängerin spielt. Das sind wunderbare Minuten, wenn das Kind und die Tänzerin vis-à-vis voreinander knien, einander stumm betrachten. Romy Nagl ist in weiten Passagen der heitere, lockere Teil der Performance. Mit einem blauen Ball turnt sie munter und entspannt durch den Raum, beweist in einem langen Monolog ihr phänomenales Gedächtnis und durch die Intonation auch das Verständnis aller Ideen und Gedanken Uhlichs. Der dampfende Nebel wird zur Sonne geschickt. Am Ende muss auch sie dem Thema Klimakrise ihren Tribut zollen, schreien und kreischen, dass es mir den Hals zuschnürt. „Ich bin das letzte Biest am Himmel … / Die letzte Bestie am Firmament / Halt mich fest / Halt mich fest / …“  Mit Inbrunst zitiert sie Zeilen aus einem Song der Band Einstürzende Neubauten, schafft Thmauch das und erntet den verdienten Applaus. Tanz in Nebel und Licht.
Anfangs spricht die Sonne aus dem Off: „Seitdem die Erde nicht mehr flach ist, dreht sich alles um mich.“ Ein Satz, den keineswegs nur die Sonne spricht, der Selfie-Generation kommt er auch ganz leicht von den Lippen. Der Stern, der der Performance den Namen gibt, der das Wachsen und Gedeihen auf dem Erdball ermöglicht, ist bald vergessen. Doris ist das Zentrum, um das sich alles dreht. Anfangs eine unscheinbare, kaum beachtete Kugel, die es schwer hat, sich aufzurichten, erobert sie bald die Bühne. Die Sonne mit Namen Doris ist wütend, in gelben Stiefeln stapft sie querfeldein, lässt ihr Fleisch vibrieren, krümmt sich zitternd und wenn die kleine Sonne, Romy, die Bühne betritt, umkreisen einander die beiden Sonnen.
Doris Uhlich hat dem nackten Körper ein neues Gewand gegeben – pardon, für das herbeigezogene Bild –, gängig heißt das, eine neue Perspektive gegeben. Sie begnügt sich nicht mit Knochen, Muskeln und Sehnen, sie will auch Fleisch und Fett tanzen lassen. Und dabei stören die stofflichen Hüllen. In Sonne allerdings ist die Nacktheit nicht Thema, die setzt Uhlich, durchaus stimmig, erst ganz am Ende und ganz kurz ein, Warnungen für Nacktphobische sind nicht nötig. Gewarnt wird vor Stroboskopeffekten und lauten Geräuschen, was das Publikum nicht hinderte, das Volkstheater zu füllen. Sehenswert: Romy Nagl, Doris Uhlich.
Der Klimawandel, den die Erdenbewohner:innen selbst eingeleitet haben, ist momentan eines der wichtigsten Themen, und wer in der Öffentlichkeit agiert, kommt nicht daran vorbei. Jede /jeder will in dieses Boot steigen, auf diesen Zug aufspringen. Sei's drum. Die Bühne ist keine Kanzel. Wenn Doris Uhlich darauf agiert, dann stehen ihre Bewegungen, ihre Inszenierung, die Performance und ihr Körper im Mittelpunkt. Uhlichs Bühnenpräsenz, ihre Ernsthaftigkeit und ihre Professionalität überzeugen das Publikum. Mit der Dampfmaschine erzeugt sie Wolkennebel, mit Gewitterdröhnen die nötige Düsterkeit. Wer es bis jetzt nicht begriffen hat, kapiert es endlich: Die Sonne, als Lebenseleixier, ist in Gefahr. Muss ich jetzt geknickt nach Hause wanken? Hexenritt auf dem Dampfkessel.Werde ich nicht, denn ich habe eine großartige Performance gesehen, die, weil das gut ankommt, Sonne benannt ist. Mit vibrierender Energie zeigt Doris Uhlich gemeinsam mit ihrem jungen Alter Ego, dass sie die Bühnenkunst auf ihre besondere Weise beherrscht, damit ein Publikum jeglichen Alters erfreuen und beglücken kann. Klimakrise hin, Spiralnebel her, auf der Bühne dreht sich alles um die Kunst (die Künstlerin, den Künstler). Wenn Uhlich wütend über die Bühne stapft, mehr Hexe als Sonne und mit dem Dampfkochtopf (das Gerät sieht eher wie eine Fusion von Staubsauger mit Feuerlöscher aus) den Nebel gegen den Himmel schleudert und am Ende alle Hüllen ablegt, um ihr Fleisch tanzen zu lassen, dann wissen auch Skeptiker:innen: Doris Uhlich ist eine Wucht. Zumindest auf der großen Bühne, die sie beherrscht und füllt.

Doris Uhlich: Sonne, Tanztheater, Uraufführung: 20.10. 2023, Festspielhaus St. Pölten. Folgeaufführungen: 13., 14. Dezember, Volkstheater
Performance: Doris Uhlich, Romy Nagl,
Konzept & Choreografie: Doris Uhlich; Text: Boris Kopeinig, Uhlich; Bühne. Juliette Collas; Lichtdesign: Leticia Skrycky; Dramaturgie: Sandra Umathum
Fotos: © Gerd Schneider / Volkstheater.