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Den Tod proben, besser sterben.

Gebären und Sterben nicht negieren, sondern üben.

Passage – rehearsal for birthing and dying“ nennt Daphna Horenczyk eine Performance, in der fünf „Sterbliche“ über das Sterben, das Gebären und alles, was dazwischen sein könnte, nachdenken. Doch genau auf das Dazwischen hat man das Gefühl, Einfluss zu haben. Das Sterben und Geborenwerden kann ein Lebewesen kaum kontrollieren. Dennoch sollte niemand den Beginn und das unabwendbare Ende einfach negieren.

In der Choreografie Horenczyks nähern sich die Tänzer physisch den Tabuthemen und setzen sich mit Anfang und Ende des Lebens auseinander. Es sind drei Frauen (Alina Bertha, Martina de Dominicis und Jolyane Langlois) und zwei Männer (Alberto Cisello und Evandro Pedroni), die ihre Schmerzen und Ängste, auch Freude und Lust auf ganz persönliche Weise zeigen. Doch die Geschlechterrollen spielen in diesem ruhigen, wortlosen Tanzstück keine Rolle. Tod und Geburt gehen alle an. Choreografin Horenczyks Interesse am Themenkreis wurde durch persönliche Erfahrungen geweckt. Ein halbes Jahr nachdem sie ihr Kind geboren habe sei ihr Vater gestorben, erzählt sie im Interview mit dem WuK Magazin.Choreografin und Tänzerin Daphna Horenczyk. © Foto von dphnahorenczyk.com

In den Stunden der Wehen vor dem ersten Atemzug meines Kindes war ich mit akuten Schmerzen konfrontiert, die jedes rationale Denkmuster verwischten und meine Zeitwahrnehmung verzerrten. Es gab für mich keine Möglichkeit, linear oder methodisch zu denken oder zu handeln. Ich war gleichzeitig in und außerhalb meines Körpers, und das war wunderschön. Als ich meinen Vater in seinen letzten Stunden stöhnen hörte, hatte ich das Gefühl, dass er etwas Ähnliches durchgemacht hatte. Ich konnte mich mit seinem Schmerz und seinem Kampf identifizieren, und durch sein Gemurmel konnte ich spüren, dass er sich in einem veränderten Bewusstseinszustand befand. Ich denke, dass die spirituellen Reisen dieser Prozesse, Geburt und Sterben, in unserer Kultur dramatisch übersehen werden, und deshalb möchte ich sie öffentlich ansprechen. (Daphna Horenczyk im Wuk Magazin)Passage - eine Probe auf der Straße.

Das tun die fünf Performer gemeinsam mit dem DJ und Elektronik-Musiker Naduve, er stammt wie Horenczyk aus Israel, begleitet mit Clubmusik und choralartigem Sound die Auseinandersetzung der Fünf mit Geborenwerden, Gebären, Sterben und Tod. Nicht immer kann man den ekstatischen und weichen Bewegungen, den erstarrten Positionen folgen, aber diese elegische Performance, in der Licht und Dunkel abwechseln, regt das einander gegenübersitzende Publikum im Projektraum des WuK zu eigenen Gedanken an. Evandro Pedroni hat endlich den orangen Kopfverband ablegt, darf in Frieden ausruhen. Die müssen nicht trübe sein, denn am Ende wird ein bunter Reigen getanzt, von der zwischen Geburt zum Tod führt ein Weg, der heißt Leben und gibt Zeit genug über Anfang und Ende nachzudenken.
Horenczyk hat mit den fünf Bühnenfiguren in abwechslungsreichen, sogar witzigen Kostümen von Evandro Pedroni ein exzellentes Ensemble zusammengestellt. Sie sind gemeinsam auf der Bühne und zeigen doch ihre individuellen Ängste, Träume und Freuden in überbordender physischer Präsenz, mit noch außergewöhnlichen Bewegungen und ausdrucksvoller Mimik. Verrenkte Glieder, verzerrte Gesichter, tierische Bewegungen, Rutschen, Rollen, Robben, übereinander Kriechen und miteinander Verschlingen herrschen zu Beginn vor. Die Gedanken an den Tod hindern die Sterblichen nicht, sich des Lebens zu freuen. So wirklich lebendig sind sie nicht, die fünf Figuren, die einen sind noch nicht aktiv im Leben, die anderen nicht mehr. Doch, so unterschiedlich sie sind, alle fünf schaffen es, diesen „veränderten Bewusstseinszustand“ darzustellen, den Horenczyk in ihrem Bericht beschreibt. Möglicherweise versetzt sie diese intensive, nur dezent vom Rauschen und Hämmern der Musik begleitete Performance tatsächlich in eine Art Trance. Die ungewohnten Bewegungen, die oft als Tableau vivant gehalten werden müssen, malträtieren sicher den Tanzkörper. Im Finale, wenn alle Lichter leuchten, werden die fünf zur fröhlichen Gemeinschaft, sie wissen alle um das Ende, doch noch sind sie entfernt, erst auf dem Weg dahin.
Danach gibt es noch ein zweites Ende in der Dunkelheit. Wohl um des Effektes willen.

Daphna Horenczyk & the Mortals: „Passage – rehearsal for birthing and dying“, WuK, Projektraum, 15.–17.2.2023
Choreographie: Daphna Horenczyk, Performance: Evandro Pedroni, Martina de Dominicis, Alina Bertha, Jolyane Langlois, Alberto Cisselo, Live Musik: NADUVE. Licht: Bruno Pocheron; Kostüme: Evandro Pedroni. Produktion Management: Sophie Menzinger
Eine Koproduktion von Daphna Horenczyk und WuK Performing Arts.
Fotos. © Franzi Kreis