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Kollektiv Kunststoff: „MeinAllesaufderWelt“, Wuk

Kollektiv kunststoff mit Holzstoß. © Aleksandra Cwen

Kein Irrtum in der Schreibweise, das Kollektiv kunststoff will einen Begriff schaffen: „MeinAllesaufderWelt“. Einstweilen ist es ein Abend mit Tanz und Theater und viel Holz, doch keineswegs hölzern. Zwei Musiker und neun Performer:innen kehren ihr Innerstes nach außen und zeigen im WuK, was ein Scheiterhaufen und ein einzelnes Scheit alles sein kann.
Premiere war am 27. Mai.

 Schon während das Premierenpublikum noch im WuK-Hof steht und nicht nur auf die Performance, sondern auch auf ein wärmendes Mailüfterl wartet, ist Waltraud Brauner, die zum Kern des 2011 des Kollektivs gehört, als Holzarbeiterin tätig. Im Hof wird ein Scheiterhaufen errichtet, brennen wird niemand.
Kollektiv kunststoff:  Immer in BewegungHolz spielt eine wichtige Rolle an diesem faszinierenden Abend, es steht für alles, was das Kollektiv und jede(r) Einzelne aus dem Innersten nach außen kehren.
Stillstand und Eile, Schweigen und Reden, Sehnsucht und Wut, Zärtlichkeit und Aggressivität, eben „MeinAllesaufderWelt“. Dementsprechend wird vor allem synchron und im Takt gerollt und gerutscht, gestolpert und gestrampft, gerannt und stillgestanden, gesprochen und geschwiegen. Und die Scheite sind immer dabei, als hoch aufgeschichtete Grenze, an die manche stoßen (vorsichtig natürlich, damit die mühsam errichtete Wand nicht in sich zusammenfällt), als Einzelstück in fließender Bewegung weitergegeben, am Anfang wird der Holzstoß kleiner, am Ende der rollenden Staffel größer, oder als Liebhaber:in ans Herz gedrückt, wie ein Wickelkind getragen und in aufwallendem Zorn von sich geworfen.Einer bricht aus der Reihe, sprudelt und tanzt sein Innerstes nach außen. Die Gruppe bleibt gerne beisammen, doch lösen sich immer wieder Einzelne heraus, die werden meist schnell, liebevoll oder heftig, wieder eingefangen. Angetrieben und gebremst wird die elastische Menge von den wunderbaren Kantilenen aus Andreas Grünauers blau schimmernder Posaune. Auch die kann zärtlich und wild sein und wird von Peter Plos mit elektronischem Sound unterstützt. Die Musik, so urteilen die Zuschauerinnen: „einfach geil“.
Kollektiv kunststoff: Ein Chor der unhörbaren Schreie. Am Ende – also für mich wäre es das passende Finale – gibt es Edvard Munch neunfach, einen Chor der stummen Schreie. Doch es ist gar nicht das Ende der Performance, weil noch eine Plattitüde nachgesetzt wird: Mit Wörtern beschriftete Holzscheite werden auf der Bühne verteilt, sie dienen der Nachdenklichkeit des Publikums, Sinn ergeben sie keinen. Wie auch die Wortspenden in der Mitte der sonst perfekten Aufführung verzichtbar sind. Fragen, ob das Herz Herz, der Arm Arm, der Bauch Bauch sein will, regen mich als Kopfgeburt bestenfalls zum Kopfschütteln an. Das tatsächliche Ende folgt dann schnell, jede legt ihr Holzscheit ab, jeder das seine auch und geht leise hinaus in den noch hellen Hof. Nur ein engumchlungenes Paar bleibt auf der Bühne, reglos wie eine Skulptur. Das letzte Paar auf der Bühne.
Die Erklärung für eingestreute Wörter, Begriffe, Fragen findet sich im WuK-Magazin, wo Stefanie Sternig und Leonie Humitsch Auskunft geben. Sie stammen beide aus Kärnten und haben deshalb wohl einen besonderen Bezug zu Ingeborg Bachmann. Die beiden Performerinnen „sprechen von einer fragilen Performance, die sich in ihrer Fragilität mit den Worten, der Sprache Bachmanns trifft. Während Bachmann sich mit dem Thema Grenze jedoch durchaus auch auf geografischer Ebene auseinandersetzte, Hölzerner Wortsalat als Zusammenfassung.geht es in „MeinAllesaufderWelt“ erstmal um die individuellen Grenzen. Wie kann ich (körperliche) Grenzen als Gruppe oder Individuum überwinden? Will ich das überhaupt? Und was kommt danach? Auch das Thema Schweigen wird vom Kollektiv kunststoff auf das Individuum heruntergebrochen. Wann sage ich etwas? Wann nicht? Ist Schweigen eine bewusste Entscheidung? Wann mache ich mich angreifbar, indem ich Dinge anspreche und beim Namen nenne?“ Die Performance trifft sich „in ihrer Fragilität mit den Worten, der Sprache Ingeborg Bachmanns“, sagt Choreografin Leonie Humitsch.
Der Kopf soll in der Entwicklungs-, Inspirations- und Probenphase unbedingt mitwirken, dann soll der Körper (da gehört wohl der Kopf dazu, doch nicht mit all seiner Last) sprechen, Ausdruckskraft ist genug vorhanden.

Kollektiv kunststoff: „MeinAllesaufderWelt“. Konzept, Choreografie: Leonie Humitsch, Stefanie Sternig. Performance, choreografische Mitarbeit: Waltraud Brauner, Jakob Eder, Raffaela Gras, Lena Grechenig, Johanna Irmann, Patrick Isopp, Kamel Jirjawi, Victoria Prägant, Stefanie Sternig.
Komposition, Sounddesign: Peter Plos, Andreas Grünauer. Kostümbild: Sophie Baumgartner;  Bühnenbild: Jo Plos; Acting & Vocalcoaching : 27., 28., 29.5.2021. WuK.
Fotografiert hat Aleksandra Cwen.

Tipp:
Asher O'Gorman, Daniel Lercher, Tara Silverthorn: if a bee falls in(to) a box. Home-Performance Paket inspiriert von natürlich auftretenden optischen und akustischen Phänomenen. Abholtermine: 4., 11., 18. und 25.. Pro Abholtermin sind 20 Pakete im WuK verfügbar.