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Kresnik, Helnwein, Schwertsik; Tanzlin.z „Macbeth“

Die Idylle vor dem Zerbrechen.

Fulminante Eröffnung des ImPulsTanz Festivals: Tanzlin.z zeigt Johann Kresniks choreografisches Theater „Macbeth“. Bei der Wiener Premiere im Volkstheater waren sowohl Choreograf Johann Kresnik wie auch der Maler Gottfried Helnwein, dessen Bühnenbild neu gebaut worden ist, und der Komponist Kurt Schwertsik anwesend.

Immer wieder kommen die Drei zu ihrem grausigen Hexentanz zusammen.Im klinisch kahlen Raum stehen zwölf Badewannen, Särge, in denen die Toten in weißen Tüchern als Mumien über die Bühne wanken. Mit einem Knall öffnet sich das riesige goldene Tor im Hintergrund. Schon schleppt der Handlanger in schwarzer Soutane Blut und Eingeweide im Kübel heran, kippt die Reste in den Graben. Im Prolog hat Choreograf Kresnik bereits alles vorweggenommen – wer die Macht schmecken will, muss im Blut waten. Kresnik ist weder zynisch noch frivol, will nicht schockieren, lediglich sichtbar machen, wie die Welt ist. Erspart bleibt den Zuschauern nichts, ein mörderischer Tanz beginnt. Lady Macbeth (Andressa Miyazato), noch in Hochform.

Geprägt ist Kresniks theatralischer, unmittelbarer Tanz von Helnweins kongenialem Bühnenbild, seine erste Arbeit für das Theater. Die Bilder sind heute genauso grausig einprägsam wie damals, als die Zuseher bei der Premiere 1988 in Heidelberg mit den weißen Wannen an den ungeklärten Tod des Politikers Uwe Barschel erinnert wurden. Heute ist diese Polit-Geschichte nicht mehr relevant, Kresniks Inszenierung bleibt aktuell, Ist lebendig und abstoßend, erschütternd und nahe an der Wirklichkeit. Die alte schottische Mär wird zum Gleichnis für die brutalen Machtkämpfe aller Zeiten. Wenn die Köpfe rollen, spritzt kein Blut mehr.

Das Leichenschauhaus des Prologs. Die Sargwannen bleiben am Rand aufgestellt, als Menetekel immer sichtbar. Real ist auch die ausdrucksstarke Körpersprache der Tänzerinnen und Tänzer von Tanzlin.z. Nicht ohne Grund ist das Ensemble unter Mei Hong Lin die erste Kompanie eines Landestheaters, die im Rahmen des ImPulsTanz Festivals auftreten darf. Eine Idee von Karl Regensburger, die weitergesponnen werden könnte.

Wie ein Baby, nackt und unschuldig, schläft Macbeth anfangs neben seinem Freund Banquo. Bis ihn die drei Hexen aus ihren Riesenbrüsten Blut saugen lassen und ihm die Droge der Machtgier einträufeln. Seine Frau, die Lady, treibt ihn immer weiter in Misstrauen, Angst und Rausch.Die Kirche als Helfershelfer der Mörder.

Teilweise geht es in diesem Machtkampf um die schottische Krone wie im Kindergarten zu: Die Messer fliegen im Kreis: Ene mene Muh und raus bist du. Bevor das Blut spritzt, werden die Auserwählten durch das Portal eskortiert. Der schwarze Mann in der Soutane wartet schon, hält den Kübel bereit, um die Eingeweide aufzunehmen. Durch durchsichtige Schläuche, die rechts und links die Bühnenwand entlangkriechen, wird das Blut bis in den Graben gepumpt. Die Blutsuppe muss das Publikum nicht sehen, das Morden ist Verschlusssache. Harmlos gleißend stecken die Messer an der Bühnenrampe., wenn die die rivalisierenden Freunde und Feinde sie herausziehen. Die Bühne  wird  zum Spielplatz, fast liebkosen die Mörder und später Gemordeten einander damit. Und immer wieder öffnet sich das Tor mit einem Knall, der Mann Gottes ist für die Aufräumarbeiten eingeteilt. Würdevoll spielt er mit, trägt die Kübel zum Graben, füllt und füllt Gedärme, Herz und Leber – und schweigt. Hu-Teng Huang tut dies mit tänzerischer Eleganz. Dazu lässt Komponist Kurt Schwertsik auf zwei Klavieren unbarmherzig hämmern und schlagen. Das Klavier, das von den Pianisten Bela Fischer jr. und Setanos Vasileiadis mit ständigem Blick auf das Geschehen und kräftigen, flinken Händen bearbeitet wird, steht im Graben. Die Beine des Instruments und der Artisten bleiben jedoch verschont. Beim lustigen Messerwerfen werden die Opfer gewählt.

In radikaler Körpersprache und Mimik, faszinierend und schockierend zugleich, werden die Tänzerinnen und Tänzer von Tanzlin.z zu den scharf gezeichneten Charakteren. Pavel Povraznik ist ein zwiespältiger, anfangs gelassener, dann immer nervöser werdender Macbeth, der miti seinem akrobatischen Tanz körperliche Schwerarbeit leistet. Filip Löbl tanzt in Wien zum ersten Mal die Rolle des Banquo (Kresnik hält sich im Großen und Ganzen an die Chronologie Shakespeares), Edward Nunes, der in Linz in sämtlichen Aufführungen auf der Bühne gestanden, gesprungen und gefallen ist, hat sich beim kürzlich erfolgten Gastspiel in Taiwan verletzt und der Aufführung mit einem Gipsbein und zwei Krücken beigewohnt. Die aus Gier und Hass, Scham und Angst schnell alternde Lady Macbeth wird von Andressa Miyazato in wirbelnden Pas de deux mit ihrem Ehemann dargestellt. Auch der Rest des Ensembles wird nicht geschont, Kresnik holt aus der exzellenten Compagnie das Unmöglich scheinende an Anspannung, Energie und Körpersprache heraus. Umwerfend. Macbeth (Pavel Polvraznik) ist am Ende, die Siebenmeilenstiefel lassen ihn springen, aber nicht mehr fortlaufen.

Bevor Lady Macbeth das Blut bis zum Hals steht und sie sich, schon reif für die Irrenanstalt, von zwei als grüne Handschuhe mit spitzen Zähnen getartnten Schlangen totbeißen lässt, scheint es Erholung zu geben, Vater, Mutter, Kinder im fröhlichen Spiel. Nur die übergroßen Möbel Helnweins lassen ahnen, dass die Idylle bedroht ist. Die Schergen in Ärztemänteln sehen lächelnd zu, an den Füßen tragen sie messerscharfe Klingen. Vier Männer geben vor, mitspielen und tanzen zu wollen, und fallen mit gebleckten Zähnen über die Familie her, schänden, foltern, töten. Dieser Realismus ist kaum zu ertragen. Kresnik erlaubt nicht, wegzuschauen. Die Hexen bereiten Macbeths letzte Stätte vor. Die Krone ist zur Kasperlmütze geworden.

Das Ende naht, wenn Birnams Wald sich in Form von riesigen schwarzen Pfählen sich nähert. Schnell haben die Hexen Macbeth riesige Stiefel angezogen, er wird wieder zum Kind, zum närrischen Kind. Unter irrwitzigem Gelächter tanzt er sich in den Tod. In Linz hat das Publikum bei der Premiere 2018 lange geschwiegen, bevor es applaudiert hat. In Wien scheint das Auditorium abgebrühter zu sein, keine Schweigesekunde wird gewartet, die Johlenden haben Vorrang.

Das grausige Werk ist beendet, der Mörder hat sich selbst gemordet. Die Hexen begraben ihn. (Kayla May Corbin, Tura Gomez, Coll Rutsuki Kanazawa, Pavel Povraznik) Schon 1992, bei der von Ballettchef Gerhard Brunner initiierten Tanzbiennale, war „Macbeth“ von Kresnik – Helnwein – Schwertsik in Wien zu Gast. Seit 1994 arbeitet Johann Kresnik auch immer wieder mit dem ImPulsTanz Festival zusammen, war mit seinem Ensemble an der Volksbühne Berlin dabei und hat mit dem Tänzer Ismael Ivo Stücke inszeniert. Nach der Wien-Premiere der „Macbeth“-Rekonstruktion ist Johan Kresnik, der das Tanztheater vor Pina Bausch gefunden hat, mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Stadt Wien geehrt worden. Im Gegenzug ehrte er den Leiter des ImPulsTanz Festivals, Karl Regensburger, und mahnte ihn auch, für einen Nachfolger zu sorgen, falls er manchmal schon ans Aufhören denke. „Dieses wichtige Festival muss es noch lange geben“, wünschte sich Johann Kresnik, dessen 80.Geburts heuer im Dezember-Kalender steht.

Kresnik – Helnwein – Schwertsik: „Macbeth“, ein choreografisches Theater mit Tanzlin.z, Ballettensemble am Linzer Landestheater, geleitet von der Choreografin Mei Hong Lin. 11. und 13. Juli 2019, Volkstheater im Rahmen von ImPulsTanz.
Fotos: © Dieter Wuschanski