Die Tatsache, dass auch traumatisierende Erfahrungen, Gewalt, Schmerzen, Krieg, an die Nachfahren weitergegeben werden, ist für Ulduz Ahmadzadeh und die ATASH عطش contemporary dance company Anlass, eine Begegnung mit Großeltern und Eltern zu veranstalten. Ancestor’s Banquet heißt die Tanz-Performance im brut, die sich mit dem Erbe, das Kinder und Enkel von einer Kriegsgeneration übernehmen müssen, beschäftigt.

Johann Sebastian Bachs Clavier Ubungbestehend in einer ARIA mit verschiedenen Veraenderungen vors Clavicimbal mit 2 Manuale, bekannt unter dem nicht vom Komponisten geprägten Namen Goldberg-Variationen gibt der letzten Ballettpremiere in dieser Saison den Titel. Der Schweizer Choreograf Heinz Spoerli hat sein Ballett zu Bachs barockem Werk 1993 in die lange Reihe der Goldberg-Choreografien, von denen eine der jüngsten Anne Teresa De Keersmaekers Solo ist, gestellt. Das Wiener Staatsballett reiht das Werk nun in sein Repertoire.

Ayanna Lloyd Banwo, 1980 in Trinidad geboren, hat bisher vor allem Kurzgeschichten veröffentlicht. Doch nun macht sie mit ihrem ersten Roman Furore: „Als wir Vögel waren“ ist der vielversprechende Titel einer Geschichte, die so farbig, so musikalisch und so sonnenwarm ist wie die Heimat der Autorin. Lloyd Banwo erzählt eine Liebesgeschichte, eine Gespenstergeschichte, eine politische Geschichte, eine Geschichte vom Tod als Teil vom Leben. 

Ein Thriller, so intelligent wie spannend, so gut erfunden wie aktuell. Anthony McCarten hat mit „Going Zero“ die besten Chancen, der literarische Hit des Jahres zu werden. Eine neu entwickelte Spionagesoftware soll im Test beweisen, dass jede Person aufgespürt werden kann, in welchem Loch auf der Welt auch immer sie sich versteckt. Zehn Testpersonen wurden ausgewählt, um die Allmacht von Fusion zu beweisen. Für den Entwickler Cy Baxter von „Fusion“ gilt, wenn alle Zehn innerhalb von 30 Tagen enttarnt werden, wird er Milliardär sein und auch mächtig.

Das wird spannend: Sharon Eyal, Damien Jalet, Crystal Pite, Hofesh Shechter, Bobbi Jene Smith, Sasha Waltz zeigen in der kommenden Saison, 2023/24, zeitgenössischen Tanz. Nein, ach nein, nicht in Wien. Sie alle und noch einige mehr zeigen ihre Werke in Sankt Pölten. Aktuell, aufregend, möglicherweise auch manche Erwartung enttäuschend. Das neue Programm des Wiener Staatsballetts wird kaum jemanden enttäuschen. Bequem darf man sich zurücklehnen und den warmen Regen genießen. Nichts stört, nichts regt auf, nichts regt an. Alte Meister, die das Ballett im 20. Jahrhundert geprägt und erneuert haben, die man immer wieder gerne sieht. Die jungen Meister:innen fehlen, um zu sehen, was die umtreibt, wende man sich gen Sankt Pölten.

Der dreiteilige Ballettabend mit dem Titel „Im siebten Himmel“ birgt das Highlight zweier Saisonen: Marco Goeckes für das Wiener Staatsballett geschaffene Ballett „Fly Paper Bird“. Die Uraufführung war am 14. November 2021. Seitdem wurde „Fly Paper Bird“ siebenmal gezeigt, eine 9. und letzte Aufführung zeigt das Staatsballett am 13. April 2023. Danach gibt es mit der einzigen Premiere in der zweiten Halbzeit dieser Saison nur noch zwei Werke aus den Archiven Alter Meister.

Die schwedische Malerin Hilma af Klint gibt der Kunstkritik noch immer Rätsel auf. Sie wird ebenso als „Pionierin der abstrakten Malerei“ gefeiert wie wegen ihres Hangs zu Spiritismus und dem theosophischen Okkultismus aus der Kunstgeschichte ausgeklammert. Drei amerikanische Autorinnen haben sich für ihren Roman „Hilma“ genau auf die esoterischen Seiten af Klints, die Séancen und das von den gerufenen Geistern animierte automatische Zeichnen und Malen, konzentriert. Sofia Lundberg, Alyson Richman und M. J. Rose haben mit „Hilma“ eine auf den wenigen vorhandenen Daten basierende Fiction gebastelt, die, wie af Klints Bilder, besonders Leserinnen mit Liebe zur Mystik ansprechen wird. 

Glückseligkeit. War gestern, oder?“, eine Auseinandersetzung mit Grete Wiesenthal in Choreografie und Tanz unter der künstlerischen Leitung der Tanzhistorikerin Andrea Amort, hat in drei Vorstellungen im brut nordwest das Publikum begeistert. Vier Tänzerinnen – Lea Karnutsch, Rebekka Pichler, Eva-Maria Schaller, Katharina Senk ­– eignen sich die Tanzsprache Wiesenthals an und holen sie in eigenen Choreografien ins Heute.

Ein Sohn findet ein altes Fotoalbum seiner verstorbenen Mutter. Zeitungsausschnitte, Notizen, Briefe, Fotos, die Hinterlassenschaft einer Künstlerin. Martin Lobigs Mutter war eine Tänzerin, von ihren Eltern und Freund:innen „Bé“ genannt, für die Weltpresse war sie Beatrijs Vitringa, „der Star“. Ihr Sohn Martin erzählt aus ihrem Leben, das eng mit der Kompanie des deutschen Choreografen Kurt Jooss verbunden war. Für sein Buch „Das Tanzen bleibt“ blättert Martin Lobigs im „Album der Tänzerin Bé“, und verflicht ihr Leben mit der „Tournee der Ballets Jooss im Zweiten Weltkrieg“.

Feminismus! Da stellen sich bei manchen sofort die Haare auf und die Emotionen kochen hoch. Allerdings wird das Thema lieber am Wirtshaustisch diskutiert, anstatt Expertinnen und Experten zu Wort kommen zu lassen und diesen zuzuhören. Das hat die Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Mückstein veranlasst, sich mit dem akademischen Feminismus zu befassen und in einem Dokumentarfilm Expertinnen- und Experten-Wissen zu sammeln. „FEMINISM WTF“ ist ab 31. März im Kino zu sehen.

Der italienische Autor Matteo Locci, geboren 1958 in der sardischen Gemeinde Jerzu / Provinz Ogliastra, dort wo der berühmte Cannonau gekeltert wird, hat sich eine zweite Identität zugelegt, um unbefangen und keck seine Heimat, die Insel Sardinien, mitsamt den Bewohnern zu preisen. Er nennt sich Gesuino Némus und schreibt anstatt Kinderbücher Romane für alle über 16. Darin wird zwar gemordet, aber häufiger noch in der Bar gesessen, um Geheimnisse auszutauschen. Gesuino Némus ist der Autor von einzigartigen Kriminalromanen, die ohne Krawall und Verfolgungsjagden auskommen. und wenn der Polizist in die Bar kommt, wird ihm zwar nicht die Wahrheit, aber ein Kaffee serviert, kalt, wie er ihn liebt. Dass Dorfpolizisten und Carabinieri auf Mördersuche sind, die manchmal echte Verbrecher, doch meistens nur unglückliche Väter, Hirten, oder schlicht Gerechtigkeitsfanatiker sind, vergisst man bei all den schrulligen Details, die der Autor anbietet.

Unschärfe, wohin man schaut. Jan Machaceks Performance findet hinter drei Plastikvorhängen statt, die auch als Bildschirme funktionieren. Nicht nur Bilder, auch Texte sind darauf zu sehen. „Blind Spot Light“ nennt der Medienkünstler Machacek die spannende, auch verstörende Stunde im Projektraum des WuK. Die Frage, was unsere Augen wirklich sehen, ob wir genau schaue, oder uns mit den Schatten und der Unschärfe zufriedengeben, ist bei dieser sorgfältig erarbeiteten Vorstellung nicht zu verdrängen. Man ist fast gezwungen, hinzusehen.

In der 82. Aufführung des von Frederick Ashton 1960 nach dem bekannten Libretto von Jean Dauberval choreografierten Balletts sind Kiyoka Hashimoto und Davide Dato als Lise und Colas stürmisch gefeiert worden. Auch dem Debütanten Javier González Cabrera wurde der Applaus nicht verweigert. Der Spanier ist seit der Spielzeit 2020/21 Mitglied im Corps de ballet des Wiener Staatsballetts.

Aug in Aug mit dem Publikum tanzen neun Tänzer:innen von Tanz Linz ein vierteiliges Stück, das von zwei Ensemblemitgliedern geschaffen worden ist. „Labo Traces“ heißt das neue Format, das die künstlerische Leiterin von Tanz Linz, Roma Janus, vorgeschlagen hat. Während sieben Tänzer:innen des 16köpfigen Ensembles im Musical beschäftigt sind, proben die übrigen ihr eigenes Stück. Hinako Taira und Yu-Teng Huang haben je zwei kurze Choreografien geschaffen, die nahtlos und verschränkt ineinander übergehen. Die Aufführungen finden im Probensaal statt, Publikum und Tänzer:innen begegnen einander hautnah.

Die Tänzerin Grete Wiesenthal (1885–1970) hat sich mit ihrer speziellen Tanzsprache von den Zwängen des klassischen Balletts befreit und im Walzertakt in die Glückseligkeit getanzt. „Glückselig. War gestern, oder? Eine Aneignung“ nennt die Tanzhistorikerin Andrea Amort ihr jüngstes Projekt, mit dem die Vergangenheit in die Gegenwart geholt wird. Im Vorfeld der kommenden Tanzpremiere im brut hat das Team um Amort und deren Verein Lebendiges Tanzarchiv Wien Einblicke in seine vielfältige Recherchearbeit zu Grete Wiesenthal, der Patin der Arbeit, gegeben.

In Hamburg müsste man sein. Dort kann im Bucerius Kunstforum am Rathausmarkt das Werk der Malerin Gabriele Münter in neuem Licht gesehen werden. Es soll aber nicht sein. Das Klima verlangt Verzicht aufs Fliegen, das Börsel übrigens auch. Die Zugfahrt von VIE nach HH ist lang, also errichten wir unsere Kunstgalerie doch zu Hause. Das umfangreiche Katalogbuch zur Ausstellung liegt gut in der Hand, befriedigt mit Abbildungen aller ausgestellten Bilder die Schaulust und gibt genügend Lesestoff, um mehr über die so oft unterschätze Malerin zu erfahren. „Gabriele Münter – Menschenbilder“ ist vom Verlag Hirmer herausgegeben.

Ein Choreograf, der dichtet und rezitiert, ein/e Sound Designer/in, die/der auch mit Live-Musik die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, und ein Tänzer, dem der Tanz aus den Venen, dem Herzen und der Leber springt – ein Trio mit berauschender Bühnenpräsenz. Sebastiano Sing drückt auf die Herzsaftpresse und zeigt mit Ernst Lima (*aquarius) und Hugo Le Brigand „Mathieu“, einen Abend voll Herzblut und Stimmenschmalz. Die Uraufführung der gefühlsüberschwemmten Performance fand im brut ´im Projektraum des WuK statt.

Es ist ein Märchen, das sich die Regisseurin Hana Zanin-Pauknerová mit 120 Tänzer:innen des Tanzstudios „Ich bin O.K.“ ausgedacht hat. „Der Goldene Faden“ führt ein Geschwisterpaar durch mancherlei Gefahren, denn sie sollen einen friedenbringenden Kristall finden. Am 22.3. ist Premiere der neuen Produktion des „Ich bin O.k.“-Tanzstudios im Theater Akzent.

Bizarre Figuren liegen auf dem weißen Boden, schwarz und bewegungslos, vier mal vier Gliedmaßen. Eine Käferkolonie könnte es sein, müde Marionetten oder auch Maschinen. Plötzlich das Zucken eines Beins, ein Impuls im Körper, ein Hochreißen eines der Tentakel, und schon ist wieder Ruhe. „Vis motrix“ nennt die Bonner Company CocoonDance unter der künstlerischen Leiterin und Choreografin Rafaële Giovanola das Stück für vier Tänzerinnen. Seit 2018 hält es sich im Repertoire der Company. Nachdem CocoonDance „vis motrix“ 2022 im Osterfestival Tirols gezeigt worden ist, sind die elektrisierenden 40 Minuten auch im Dschungel Wien zu sehen gewesen.

Vom 24. März bis zum 9. April gibt es in Hall i. T. und Innsbruck keinen Stillstand. Zum 35. Mal findet das Osterfestival Tirol mit Tanz und Musik, Film und Performance statt. Die künstlerische Leiterin dieses fest im heimischen Kulturkalender verankerten feinen Festivals, Hannah Crepaz, hat diesmal das Motto „fließend“ gewählt. Das klingt, wie schon der Titel oben, nach Heraklit, wenn er es tatsächlich war, der die Weisheit hinterlassen hat: „Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“

Marschmusik macht fröhlich, weckt die Lebensgeister, selbst wenn sie vom Generator erzeugt wird. Auch wenn nur vier Menschen versuchen in Tritt und Sprung, in Drehen und Winden synchron zu sein, dann entsteht eine gleich geformte Menge. Ob das erstrebenswert ist, müssen sich die jungen Zuschauer:innen von „Unisono“ selbst beantworten. Ausgedacht hat sich die Performance mit Musik, Text und Bewegung das Kollektiv makemake, gespielt wird im Studio des WuK für junge Menschen ab dem Schulalter.

Mit "On Earth I’m Done: Islands" zeigen Jefta van Dinther, einer der interessantesten Choreografen des 21, Jahrhunderts und das Cullberg Ballet zim Tanzquartier vervollständigt der Choreograf seine Überlegungen zur drohenden Unbewohnbarkeit des heimischen Planeten. Van Dinthers Doppelstück besteht aus dem Solo „Mountains“ und dem Gruppenstück „Islands“, die Aufführungen können an einem Abend stattfinden oder unabhängig voneinander, sie handeln von Überlegungen, wie es weitergehen könnte, mit unserem Planeten.  

In ihrem Debütroman erinnert die aus der Ukraine stammende Autorin Irina Kilimnik an einen „Sommer in Odessa“. Erzählt wird von diesem Sommer vor dem Krieg von der Medizinstudentin Olga. Sie lebt mit der Familie, die vom autoritären Großvater beherrscht wird, in einer Wohnung in Odessa. Keine der drei Töchter und vier Enkeltöchter des Patriarchen ist glücklich, doch keine wagt es, aufzumucken. Was an der Oberfläche als fröhliche Erzählung aus der Vorkriegszeit vergnüglich daherkommt, liest sich zwischen den Zeilen als Spiegel der Gesellschaft in der Ukraine.

Akram Khan, weltberühmter Tänzer und Choreograf, hat mit dem English National Ballet das romantische Ballett „Giselle“ ins 21. Jahrhundert versetzt. Die Corona-Maßnahmen sind beendet, Tourneen und Gastspiele sind wieder möglich, das englische Ensemble zeigt im Festspielhaus Sankt Pölten das immer noch romantische Drama von Liebe und Verrat, Tarnung und Täuschung. Giselle lebt heute, ist kein naives Bauernmädchen mehr, sondern eine kämpferische Frau, leider arbeitslos, aber verliebt.

Mitdenken heißt es in der zweiten Saison von „Der Betrieb“, denn es geht um ein komplexes Thema: die Demokratie. In der ersten Saison beschäftigten sich die Mitglieder des Betriebs mit leibhaftigen Emotionen, plastisch und leicht verständlich. Nun wird es schwieriger. Der Focus der Arbeit liegt auf dem Wesen der Demokratie. Dieses soll mit dem bewegten Körper im Raum, also mit Choreografie, erforscht werden.

Passage – rehearsal for birthing and dying“ nennt Daphna Horenczyk eine Performance, in der fünf „Sterbliche“ über das Sterben, das Gebären und alles, was dazwischen sein könnte, nachdenken. Doch genau auf das Dazwischen hat man das Gefühl, Einfluss zu haben. Das Sterben und Geborenwerden kann ein Lebewesen kaum kontrollieren. Dennoch sollte niemand den Beginn und das unabwendbare Ende einfach negieren.

Preise und Ehrungen für Choreograf:innen und Tänzer:innen sind recht rar. In der Literatur gibt es so viele Preise und Listen (und Jurys), dass die Not, wen man heuer wieder auszeichnen soll, immer größer wird. Opernsänger:innen werden zu Kammersänger:innen erhoben, ein Titel, der offensichtlich noch aus der Monarchie stammt und nicht als Medaille am Ordensband hängt. Tänzer:innen und Choreograf:innen müssen sich mit Jubel und Applaus begnügen. Doch nun ist einer Choreografin und Tänzerin eine vergoldete Ehrung widerfahren. Liz King ist mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien ausgezeichnet worden.

Vorwort: Das war bisher unbekannt: Der Beruf der Tanzkritikerin ist gefährlich. Lieber nichts sagen, mit dem Schwamm drüber wischen, den Choreografen streicheln, sonst kommt der Hund ins Spiel. Was der hinterlässt wird zur Waffe, landet im Gesicht der Kritikerin. Also, aufgepasst, Zurückhaltung üben, das Herz lieber zur Mördergrube machen, als sich mit einem Hundswürstel beschmieren zu lassen. Es wurde übrigens vom eigenen Hund des 50 jährigen Angreifers, ohne den auch keine Probe stattfindet, produziert. Es ist kein Geheimnis, der Angreifer war der 50jährige Choreograf Marco Goecke, die Angegriffene die Tanzkritikerin der FAZ, Wiebke Hüster.

Exposition, Durchführung, Reprise, Coda. Eine Triosonate lässt sich tanzen, auch wenn die Musik nur im Kopf der drei Tanzenden ist. Das Publikum sieht die Musik. Der Choreograf und Tänzer Samuel Feldhandler hat sein Ballett, „Georgey tremble“, als Sonate entwickelt. Mani Obeya, Yari Stilo und Elizabeth Ward tanzen die drei Sätze. Eine gute Stunde lang sind sie nahezu permanent auf der Bühne im Tanzquartier. Gehen, drehen, springen, variieren, imitieren, addieren, repetieren – ein unaufhörlicher Fluss an Begegnungen und Trennungen. Die Anstrengung wird von der Poesie der Gesten und Schritte überdeckt.

Zaza Burchuladze, 50, ist ein georgischer Schriftsteller, der aus politischen Gründen mit seiner Familie nach Berlin emigriert ist. Er schreibt weiterhin auf Georgisch, Sybilla Heinze hat die atemlos hervorgesprudelte Philippika übersetzt. Allerdings richtet sich diese Tirade nicht gegen eine Person oder konkrete Missstände, sondern erzählt vom Verlust der Heimat, von Verzweiflung und immer wieder auch vom Schreiben. Wie ein Karussell dreht sich die Rede Zazas, also offenbar des Autors selbst, ständig im Kreis, kommt zu keinem Ende und fängt doch wieder von vorne an. Dieser Zaza ist beredt und gebildet, belesen und unglücklich.

Wie Politiker und Politikerinnen – diese sind naturgegeben die interessanteren Subjekte, was das Vestimentäre betrifft – mit ihrem Outfit umgehen, hat der Chefredakteur des Magazins Schaufenster der Tageszeitung Die Presse, untersucht und beschrieben. In „Staat tragen“ erzählt er über „das Verhältnis von Mode und Politik“, und was es da zu erfahren gibt, ist erhellend und manchmal auch recht amüsant. 

Ein beeindruckendes Bild, eine rätselhafte Installation: Kübel, Lavoirs, Becken aus unterschiedlichen Materialen, in allen Farben leuchtend und mit Wasser gefüllt, sind auf der Bühne platziert, dazwischen schlängeln sich Kabel und Drähte. „AyH“, das bedeutet „Finden“, nennt Alex Franz Zehetbauer sein live komponiertes Konzert, bei dem die Musik aus dem Wasser kommt. Gemeinsam mit dem Soundkünstler Christan Schröder und einem Hydrophon (Unterwassermikrofon) hat Zehetbauer unter Einsatz seines Körpers eine konzertante Performance geschaffen, die sich sehen und hören lassen kann. Ein vorweggenommener Valentinsgruß Anfang Februar im studio brut.

13 Jahre hat der Kanadier Brendan Saye, 31, im National Ballet of Canada, Toronto, getanzt, seit 2019 als Principal Dancer. Eine lange Zeit, die ihn schon vor der Pandemie an einen Wechsel denken ließ. Danach erkannte er: „ich brauche eine Veränderung“, folgte dem Ruf Martin Schläpfers und flog von Toronto nach Wien. Deutsch kann er noch nicht, doch das Ballett-Publikum auf dem Stehplatz hat ihn bereits ins Herz geschlossen. Am 23. Jänner wurde das Debüt des neuen Ersten Solotänzers als Onegin im gleichnamigen Ballett von John Cranko lautstark gefeiert. Am 30. Jänner, in der letzten Onegin-Vorstellung dieser Saison, wussten auch die geballt auf den preisreduzierten, jedoch keineswegs billigen Plätzen sitzenden U27-Gäste bereits, dass Brendan Saye ein großartiger Tänzer ist und man ihn nach jedem Hüpfer bejubeln soll. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Onegin (Brendan Saye) inmitten der holden Weiblichkeit. Onegin, Sohn eines Adeligen und mit Vermögen gesegnet, ist schon von Cranko als nicht besonders sympathische Figur angelegt. Saye, groß gewachsen und mit kantigem Gesicht, ist die Inkarnation des hochnäsigen, menschenverachtenden, nahezu brutalen Dandys, der aus Langeweile aus der Großstadt aufs Land reist und vorhat, sich trotz aller provinzieller Lustbarkeit zu amüsieren. Dafür bezahlen sein „Freund“, der Dichter Lenski,  dessen Braut Olga und deren  Schwester Tatjana drauf. Vor allem Lensky, den Onegin schon mit seinem Urteil über dessen Gedichte beleidigt hat, bezahlt mit dem Leben. Olga, so erzählt Puschkin, von dem die Vorlage für das Ballett und auch für Peter Tschaikowskis Oper stammt, tröstet sich schnell und heiratet einen aus ihrem Milieu. Tatjana (Hyo-Jung Kang erträumt sich die Liebe von Onegin (Brendan Saye). Saye hat in Hyo-Jung Kang als Tatjana eine ideale Partnerin. Sie kommt aus Stuttgart, wo Crankos Ballett entstanden ist, also von der Quelle, und hat die Tatjana nicht nur im kleinen Finger. Tatjana, die sich ihre Lieben bisher in romantischer Lektüre gesucht hatte, verknallt sich auf den ersten Blick in den schönen Mann, der stolz durch die Reihen der tanzenden Burschen und Maiden schreitet. Das Herrenensemble im 1. Akt bringt bestens gelaunt und bestens tanzend Schwung in die Gartenparty.  Der Gockel Onegin weist die verliebte Teenagerin rüde zurück. Wenn er nach zehn Jahren wieder angekrochen kommt, weil ihm eingefallen ist, dass er einen Fehler gemacht hat und sein den Vergnügungen und der holden Weiblichkeit gewidmetes Leben endlich erfüllen will, ist Tatjana verheiratet. Ihr Ehemann, der Fürst Gremin, den ihr die Mutter schon vor zehn Jahren andienen wollte, ist inzwischen ein grauhaariger General, sie hat Respekt vor ihm, führt ein großes Haus in St. Petersburg und erliegt dem Schmeichler auf den Knien nicht. Dass sie Onegin fortschickt und – süße Rache – sein schriftliches Liebesgewinsel zerreißt, wie er es einst mit ihrem Brief tat, entlockt ihr dennoch einen Tränenstrom. ein trauriges, aber heroisches Ende. Im Spiegel erscheint Olga (Aleksandra Liashenko) der Zukünftige (Arne Vandervelde). Die Freundinnen (Sveva Gargiulo, Eszter Ledán) amüsiert das traditionelle Spiel.  Hyo-Jung Kang ist nicht nur tanzend die Tatjana schlechthin, sondern zeigt die wechselnden Gefühle auch in ihrem lebhaften Mienenspiel. In der Spiegelszene, in der sie sich Onegins Zuneigung erträumt, stürzt ihr das Glück förmlich aus den Augen. Wer weit vorne sitzt oder, ganz altmodisch, ein gutes Opernglas besitzt, hat Glück gehabt.
Weniger glücklich macht das 2. Paar, der zu Beginn dieser Saison zum Solotänzer avancierte Belgier Arne Vandervelde ist ein erfahrener Lenski, mir aber zu kühl. Es scheint, als denke er mehr an die perfekten Bewegungen als an seine Rolle. Besonders störend ist die mechanische Darbietung in der 2. Szene des 2. Aktes, wenn sich Lenski auf das Duell mit Onegin vorbereitet. Ich spüre weder Todesangst noch Reue noch die Eifersucht, die ihn dazu zwingt, dem ehemaligen Freund eine Ohrfeige zu verpassen.Brendan Saye, ein Tänzer zum Verlieben, als Onegin, ein ekelhafter Gockel. Mit Aleksandra Liashenko, die die Olga tanzt, geht es mir ähnlich. Selbst als Onegin sie beim Krawattl packt, wie man in Wien einen groben Griff in den Nacken bezeichnet, und sie rüde an sich heranzieht, behält sie das aufgesetzte Tänzerinnengrinsen, das es so gar nicht mehr gibt. Dass Lenski und Olga ein Liebespaar sind, ist auch in den Pas de deux nicht zu sehen, damit wird auch die Eifersucht und das darauf folgende Duell nicht verständlich.
Tatjana (Hyo-Jung Kang) wartet auf den Traumprinzen.Ob es am Dirigenten Robert Reimer, der im Herbst mit „Onegin“ an der Staatsoper debütierte, lag oder an den Tänzern oder an unbekannten Ursachen, kann ich nicht feststellen, deutlich waren aber sonderbare Zeitsprünge, als ob einige Sekunden ausgelassen würden. Beispiel: Onegin (Brendan Saye) schießt im Duell seine Pistole schon im Gehen ab, so rasch ist Lenski noch nie gestorben. Auch der erste Tanz des Damenensembles war mehr eine Hetzjagd denn ein ländlicher Tanz. Sonst hat sich das Ensemble gut gehalten.
Das Corps de ballet und die Halbsolist:innen müssen in diesem Ballett ihre Füße dauernd in Bewegung halten und das auf unterschiedliche Weise. röhlich, verspielt im 1. Akt, der im Garten spielt, festlich, gespannt im 2. im Haus der Larinas, wo keine Verlobung oder gar Hochzeit gefeiert wird, und schließlich elegant und damenhaft (auch die Freundinnen und Gäste Tatjanas sind zehn Jahre älter geworden) im St. Petersburger Tanzsaal. Ein schönes Paar probt: zwei, die keines werden können. Hyo-Jung Kang als Tatjana mit Brendan Saye als Onegin. Der Jubel am Ende war groß, Solist:innen, das Corps und das Orchester mit dem Dirigenten wurden mit Juchhu und Juchhe verwöhnt und immer wieder vor den Vorhang gerufen. Der größte Jubel aber gebührt einem, der diesen nicht mehr hören kann: John Cranko, der dieses fein ziselierte Ballett, in dem jeder Augenaufschlag etwas aussagt, geschaffen hat. Mit jedem Kopfneigung, jeder Geste werden die Personen charakterisiert, Gefühle vermittelt, Beziehungen dargestellt. Man meint, die Tänzerinnen und Tänzer sprechen zu hören.
Cranko schenkt den Tänzer:innenBrendan Saye noch zu Hause in Kanada. Im National Ballet of Canada war der Principal Dancer der von den Musen umschwärmte griechische Gott Apollo in George Balanchines Ballett „Apollo“ zur Musik von Igor Strawinsky. Foto: © thestar.com  und damit auch den Zuschauer:innen viele kleine Einlagen und humoristische Details, wie sie vielleicht nur noch in Frederick Ashtons Choreografie des mehr als 250 Jahre alten „Strohballetts“ „La fille mal gardée“ zu sehen ist. Dieses Ballett gehört zum Standardrepertoire aller großen Häuser, auch der Wiener Staatsoper. Auch in dieser Saison ist es zu sehen, die drei Aufführungen im Dezember 2022 sind zwar bereits vorbei, doch im März 2023 (16., 27., 30-) werden Holzschuh-und Bandltanz wieder der ganzen Familie Vergnügen bereiten.

„Onegin“, Ballett in drei Akten & sechs Szenen von John Cranko nach dem Roman in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin.
Musik: Peter I. Tschaikowsky, eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze.
Choreografie & Inszenierung: John Cranko. Musikalische Leitung: Robert Reimer. Bühne & Kostüme: Elisabeth Dalton. Licht: Steen Bjarke. Einstudierung: Reid Anderson, Lukas Gaudernak, Jean Christophe Lesage. Der sensible Dichter Lenski (Arne Vandervelde) will nicht sterben.
In den Solorollen: Brendan Saye, Onegin; Arne Vandervelde, Lenski, Onegins Freund; Iliana Chivarova; Madame Larina, eine Witwe, Hyo-Jung Kang, ihre Tochter Tatjana, Aleksandra Liashenko, Olga, Tatjanas Schwester. Igor Milos ist Fürst Gremin, ein Freund der Familie Larina (späterer General und Gatte Tatjanas). 
Wiener Staatsopernorchester, dirigiert von Robert Reimer.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 30. Jänner 2023, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Die irische Künstlerin Asher O`Gorman ist sowohl Tänzerin wie bildende Künstlerin. In ihrer neuen Kreation, „stroke all the colours out of the sky / streiche alle Farben vom Himmel“, gezeigt im brut, beschäftigt sie sich mit der Entstehung von Kunstwerken. „a portrayal of the artist’s process" zeigt genau das, was zu erwarten ist: Ton wird bearbeitet, mit Farbe wird gekleckert, Metall wird gebogen. Kunstproduktion ist auch oft Arbeit, manche lassen diese von anderen machen und ruhen ihren kreativen Kopf einstweilen aus. Bei Asher O'Gorman wird die Produktion von Werken zur Choreografie, schön, aber wenig aufschlussreich.

Jodi Picoultbeweist auch in ihrem jüngsten Roman, „Ich wünschte, du wärst hier“, ihre Stärken. Der amerikanischen Erfolgsautorin gelingt es, kontroverse Themen und aktuelle Probleme zur Diskussion zu stellen, indem sie die Kernfragen personalisiert und in eine spannende Geschichte locker verpackt. In „Wish You Were Here“ beleuchtet sie eine wohlbekannte Tatsache: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“ John Lennon (1940–1980) drückt es in einem Song so aus: „Life is what happens while you are busy making other plans.“ / „Leben ist, das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“

Niederlassung von Sotheby's in New York. Hier arbeitet Diana, die Erzählerin ihrer Geschichte. ©.theartnewspaper.com/Genau das muss auch Diana, die erzählende Heldin in „Ich wünschte, du wärst hier“, erfahren. Noch ist sie dabei, eifrig Pläne zu machen, und sie weiß genau, was sie will. Ihren Traumjob hat sie bereits erobert, sie arbeitet als Assistentin mit Aufstiegschancen in der Galerie Sotheby’s in New York City. Demnächst wird sie dreißig und will mit ihrem Gefährten, dem Chirurgen Finn, die Galapagosinseln bereisen und danach wird geheiratet. Da ist sie sicher, schließlich hat sie das verdächtige Schächtelchen bereits im Wäschekasten entdeckt und weiß, da ist der Verlobungsring drinnen. Toulouse-Lautrec: "Dans le Lit", auch "Der Kuss" betitelt. Dieses Bild will Kitomi Ito doch nicht sofort verkaufen.  © gemeinfrei
 Davor aber wird sie noch den ehrenvollen Auftrag erledigen, die Künstlerin Kitomi Ito in ihrem Vorhaben, ein Gemälde von Toulouse-Lautrec zu verkaufen, zu bestärken. Selbstverständlich soll Kitomi das Bild aus der berühmten Serie „Le Lit / Das Bett“ Sotheby’s zur Versteigerung übergeben. Kitomi Ito ist Witwe, ihr Mann, Sänger der Nightjars, ist vor 40 Jahren in New York auf offener Straße ermordet worden. Es klingelt vermutlich im Leserin-Gehirn, denn die Autorin spielt mit ihr ein keckes Spiel. Ein Spaß, der bei Kennerinnen der Lennon-Legende schon bei Erwähnung des Bildes (Diana gibt eine genaue Beschreibung dees Bildes und erzählt zugleich vom berühtem nachgestellten Plattencover mit dem nackten Paar) heftiges Klingeln im Gedächtnis ausgelöst hat. Isabela, die Hauptinsel im Galapagos-Archipel, ein Paradies für Touristen. © drinkteatravel.com/Leider erlebt Diana eine Schlappe, denn Kitomi zögert mit dem Verkauf. Das Corona-Virus hat sich zwar zaghaft, aber doch deutlich, gemeldet. Die Börse könnte einbrechen, wie schon sicher ist, dass Dianas Karrierepläne eingebrochen sind. Aus der gemeinsamen Galapagos-Reise wird nichts, Finn hat Spitalsdienst. Doch er überredet Diana, alleine Urlaub zu machen und, weil es schade ist um das schöne Geld, stimmt sie widerstrebend zu. Schon wieder sollte es klingeln, das Reiseziel hat Picoult nicht zufällig gewählt. Der Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) hat zwar nicht nur die Galapagos bereist, doch hat er angeblich beim Studium der Vögel des Archipels (Galapagos-Finken benannt) die ersten Ideen zur „Entstehung der Arten“ gehabt. Seltsame Tiere sehen dich an. Nur auf den Galapagos leben noch wie in grauer Vorzeit riesige Warane. © natureglapagos.comKern dieser Theorie ist die Selektion oder Auslese: Nur die Angepassten überleben, diejenigen, die mit den neuen Umständen (für die Finken war das ein Klimawandel mit häufigem, starkem Wind) nicht zurechtkommen, wandern aus, oder pflanzen sich nicht fort, sterben also aus. Darum geht es auch im Roman. Diana ist in einem Paradies gefangen. Schon in der Erzählung aus der Bibel hat das Paradies eine Mauer, dass Adam und Eva in Wahrheit gefangen sind und sich erst durch den Ungehorsam befreien können, wird kaum erwähnt. Diana muss sich zurechtfinden, und sie macht das Beste aus diesem unfreiwilligen Aufenthalt. Wie gut das wirklich ist, erfährt man erst, wenn sie wieder in N.Y. ist. Diana ist hingerissen von der Schönheit der Insel. © natureglapagos.com
Die Insel Isabela, auf der Diana als einziger Gast landet, ist bereits im Ausnahmezustand. Niemand darf hinein, niemand darf hinaus. Die Hotels sind geschlossen. Die Angst vor dem Virus geht um. Diana sitzt auf der Straße, ohne Gepäck, denn das ist am Flughafen verschwunden, und ohne Unterkunft. Das kleine Hotel ist geschlossen. Lediglich die alte Abuela (spanisch: Großmutter) fürchtet sich nicht, sie hat ein Zimmer für Diana. Bald lernt die Gestrandete auch Beatriz, Abuelas Enkelin und Gabriel, den Sohn, kennen. Dem Verliebtsein steht nichts im Weg. Gabriel zeigt ihr die schönsten Buchten, die geheimsten Plätze, steigt mit ihr auf den Vulkan und taucht mit ihr nach Muscheln. Doch die Strömung im Pazifischen Ozean ist tückisch, Gabriel und Diana werden auseinandergerissen und das Letzte, was sie hört, ist seine Stimme: „Du schaffst das, Diana.“ Wenn sie wieder zu sich kommt, liegt sie in einem Bett.Auch dieses berühmte Plattencover, wofür sich John Lennon und Yoko Ono als Nackerpatzeln fotografieren ließen, beschreibt Diana haargenau. Bei ihr sieht man allerdings Kitomi Ito und Sam. Auf diesem Album, "Double Fantasy", 1980,  ist auch Lennons Song "Beatuful Boy (Darling Boy",  aus dem das Zitat über das Planen stammt. © johnlennon.com
Und mehr wird nicht erzählt, denn die Autorin hat einen Schock eingebaut, der es geraten sein lässt, fest und gemütlich zu sitzen, während man mit Diana unter Wasser gezogen wird. Danach ist eine Atempause vonnöten, bevor man sich Teil 2 des Romans widmet.
Das sonnige Galapagos mit der wunderbaren Fauna und Flora müssen wir verlassen und wir geraten mitten in das erste Jahr der Corona-Pandemie. Ob New York oder Wien, überall passiert das Gleiche, die Menschen versuchen, einander Mut zu machen, durchzuhalten, die Isolation im Lockdown zu nützen oder gar zu genießen und auf ein Gegenmittel oder das Abklingen der vielfach tödlichen Infektion zu warten. Und viele der Leserinnen haben es selbst erfahren: Es wird nie wieder so wie früher. Auch Dianas Leben stülpt sich um. Weder die Kunst der Malerei noch die Hochzeit interessiert sie noch, und Finn muss erkennen, dass er sich ein Bild von ihr gemacht hat, das eine Diana zeigt, die es nicht oder nicht mehr gibt. Das Ansonia Appartement-Haus, in dem die erfundene Figur Kitomi Ito wohnt. Yoko Ono (* 1933), das Vorbild, wohnt nicht weit entfernt, im Dakota House, in einer der teuersten Wohnungen von New York City. © gemeinfrei
Jodi Picoult schildert die schönen Tage auf der fernen Insel ebenso eindringlich wie die schreckliche Zeit Pandemie in New York City. Gleicht der erste Teil einem annus mirabilis, erfüllt von positiven Gefühlen, von Sonnenschein und Meereswellen, so dräuen im zweiten ­ nahezu zwei anni horribiles, um mit der verstorbenen englischen Königin zu sprechen, ­ düstere Wolken. Angst und Einsamkeit, Verlust und Tod sind dauerpräsent. Gefühle, die auch der Leserin das Herz abschnüren, zumal, wie schon gesagt, jeder diese schweren Zeiten durchstehen hat müssen. Buchcover © C. BertelsmannPicoult spricht auch aus eigener Erfahrung. Als Asthmatikerin war sie während der Pandemie monatelang eingeschlossen: „Ich habe das Buch geschrieben, weil ich mich daran erinnern musste, wer ich war, als meine Welt auf den Kopf gestellt wurde, und weil es für mich heilsam war, die Lektionen des Jahres 2020 zu verarbeiten.“ (Nachwort)
Jodi Picoults Romane sind, auch wenn sie in Teilen überaus vergnüglich zu lesen sind und immer direkt ins Sonnengeflecht zielen, keinesfalls im Genre „Trivialliteratur“ einzuordnen. Sie sind niemals seicht, geben jedes Mal von neuem genügend Stoff zum Nachdenken. Dass Netflix eine Option für „Ich wünschte, du wärst hier“ hat, sollte der Autorin nicht zum Nachteil gereichen.

Jodi Picoult: „Ich wünschte, du wärst hier„, "Wish You Were Here“, aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel, C. Bertelsmann, 2022. 416 Seiten. € 22,70. E-Book: € 15,99.

Wakatt – Hier und jetzt“! Wakatt ist ein Begriff aus der burkinischen Nationalsprache, Mòoré, und bedeutet „unsere Zeit“. Davon erzählt der Choreograf und Gründer des Faso Danse Théâtre von Bobo-Dioulasso, Serge Aimé Coulibaly. Mit seiner 2002 gegründeten Compagnie, dem Faso Danse Théâtre, zeigt er seine Choreografien vor allem in Europa. Zuletzt haben Serge Aimé Coulibaly und seine dynamische Compagnie mit dem beeindruckenden Tanztheater „Wakatt“ das Publikum im Festspielhaus Sankt Pölten begeistert.

Marco Goecke, Martin Schläpfer und George Balanchine sind die Choreografen eines dreiteiligen Abends, der unter dem Titel „Im siebten Himmel“ im Herbst 2021 zum ersten Mal aufgeführt worden ist. Im Jänner und im April dieses Jahres steht er wieder im Kalender. Getanzt wird in Schläpfers Choreografie zu „Marsch, Walzer, Polka“ der Strauß-Familie; Zu Teilen aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie bei Goecke und zur Symphonie in C des 17-jährigen Georges Bizet in Balanchines Choreografie gleichen Titels.
Das Wiener Staatsballett hat sich auch am besuchten Freitagabend von seiner besten Seite gezeigt.

Alles ist neu am ersten Tag diese Neuen Jahres. 14 von 15 gespielten Werken sind zum ersten Mal in einem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker zu hören. Der Dirigent Franz Welser-Möst allerdings ist nicht neu, er steht zum dritten Mal mit dem Rücken zum Publikum, den Blick auf die aktive Kamera gerichtet. Und nicht nur Knaben sondern auch Mädchen können singen, keine weltbewegende Neuigkeit. Neu ist nur, dass sie singen dürfen, während die Wiener Philharmoniker (das ist der Name des Orchesters) spielen. Aber sonst? Alles beim Alten.

Im Neujahrskonzert 2012 war der von Davide Bombana choreografierte und vom Wiener Staatsballett getanzte Donauwalzer zum ersten Mal zu sehen, danach ist uns die Begegnung von Olga Esina und Roman Lazik im Oberen Belvedere und der Walzer mit von Christof Cremer in Donaublau gekleidete Kolleg:innen als Mitternachtswalzer nach dem Läuten der Pummerin zehn Jahre erhalten geblieben. Heuer aber, eine Minute nach Mitternacht, werden wir die kleine Liebesgeschichte zum letzten Mal sehen.

Der Autor und Mythenforscher Joseph Campbell (1904–1987) ist im anglo-amerikanischen Sprachraum immer noch eine anerkannte Größe. Im deutschsprachigen ist er weniger bekannt, dennoch gibt es seit dem Erscheinen des Originals „The Hero with a Thousand Faces“, 1949, mehrere Übersetzungen.. Nun ist im Insel-Verlag wieder eine gebundene Ausgabe des 500 Seiten starken Originals, über den Heros in allen Kulturen, in Mythen, Sagen und Religionen erschienen. Sich ohne wissenschaftliche Notwendigkeit durch „die tausend Gestalten“, die immer die gleichen sind, zu beißen, verlangt einen Sonderurlaub. 

Es war einmal. So beginnt die Geschichte von der schlafenden Schönen, dem Dornröschen, die vor langer Zeit erzählt worden ist. Doch Aurora lebt heute und ist ein Teenager wie viele andere. Der Choreograf Andrey Kaydanovskiy erzählt mit dem Ensemble von TanzLinz ein altes Märchen als aktuelle Geschichte. Die Musik zum Ballett stammt wie zum 1890 uraufgeführten Ballett von Marius Petipa von Peter I. Tschaikowsky, mit einer dezenten Ergänzung durch elektronischen Klänge. Nach der Uraufführung des neuen Balletts am 23. Dezember ist nicht nur die höchst lebendige Aurora bejubelt worden. Auch das gesamte Ensemble, der Choreograf und das Bruckner Orchester unter Marc Reibel durften sich glücklich für den freudigen Applaus bedanken. 

Mutige Frauen, die Geschichte schrieben“, nennt der Verlag Lübbe eine neue Reihe. Zwei Titel sind in diesem Herbst erscheinen: Sienna David erzählt von der Mathematikerin Ada Lovelace, Susanna Leonard erzählt aus dem Leben der Gorillaforscherin Dian Fossey. Zwei Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt und Großes geleistet haben. So unterschiedlich das Leben der beiden Frauen verlaufen ist, so unterschiedlich sind auch die beiden historischen Romane.

Gedoppelter Körper, gedoppelte Flügel, Pianisten und Klänge, Doppelbilder auf dem Bildschirm. Alexandra Bachzetsis ist auf der Jagd nach dem Unheimlichen. „Chasing a Ghost“ nennt die Schweizer Künstlerin ihr 2019 im Art Institute of Chicago uraufgeführtes Werk. Pandemiebedingt musste die für April 2020 geplante Aufführung im Tanzquartier in den Dezember 2022 verlegt werden. Zwei Tänzerinnen und drei Tänzer, jede mit jedem im Duett, jeder von jeder ein Spiegelbild.

Im Untergeschoß des noch unfertigen KulturQuartier im Stadtentwicklungsgebiet von Wien, genannt Seestadt, zeigt der Choreograf Georg Blaschke „gelöschte Bewegungen.“ „Extinct Choreography“ ist eine Tanzperformance für drei Tänzerinnen und einen Tänzer, die auf dem rohen Betonboden Bewegungsformen früher Menschen und Tieren finden und ausprobieren.
Die lange Reise zu einer eindrucksvollen und kurzweiligen Performance in die Seestadrt zahlt sich aus.

Königin und König, Aurora und der Prinz sind noch im Trainingsgewand. Am Bühnenrand übt Carabosse mit funkelnden Augen und geheimnisvollen Handbewegungen ihre Zauberkräfte. Choreograf Andrey Kaydanovskiy probt im Linzer Musiktheater mit dem Ensemble das Tanzmärchen von „Dornröschen“. Am 23. Dezember wird Premiere sein.

1912 hat der Schriftsteller und Schauspieler Gerdt von Bassewitz (1878–1923) für junges Publikum das Märchenspiel „Peterchens Mondfahrt“ geschrieben, 1916 folgte das gleichnamige Märchenbilderbuch. Die Dschungel-Chefin, Corinne Eckenstein, hat die Idee geboren, daraus ein lustiges Musiktheaterstück zu machen. Ganz korrekt heißt die Komödie „Peterchens und Annelieses Mondfahrt“. Cecilia Kukua, Felix Werner-Tutschku und ein Quartett des Studio Dan fahren samt zwei Pappendeckelpuppen mit großer Lust zum Mond und wieder retour. Premiere war am 8.12. im Dschungel, Theaterhaus für junges Publikum.

Unerschöpfliche Kreativität gepaart mit einer ebensolchen Energie kennzeichnen den dienstältesten Ballettchef der Welt, John Neumeier. Nun hat er mit dem Hamburg Ballett, seinem Hamburg Ballett, ein Jubiläum feiern dürfen: 50 Jahr John Neumeier in Hamburg – und in der Welt, liest man die Liste der rund um den Erdball getanzten Gastspiele. Damit alle, die das Ballett lieben, an diesem Jubiläum teilnehmen können und womöglich auch in Erinnerungen schwelgen dürfen, hat das Hamburg Ballett mit John Neumeier die Ära Neumeier in einem üppigen Bildband, erschienen im Henschel-Verlag, festgehalten.

Oleg Soulimenko geht wieder auf Reisen, um Zeit und Raum zu erweitern, und nachzudenken, wie wir in Zukunft leben wollen und können. „Sleeping Duty“ nennt er das neueste Werk, in dem er im Tanzquartier mit zwei Tänzerinnen, einem Musiker und jeder Menge Material auftritt. Unter dem schönen ein Märchen zitierenden Titel kann man sich einiges vorstellen.
Duty kennt man von Reisen, wenn (k)ein Zoll zu bezahlen ist. Doch Duty heißt auch Pflicht und sogar Honorar, ich entschließe mich für letzteres. Es gibt Gründe dafür.

Der amerikanische Autor Laird Hunt hat einen schockierenden Roman geschrieben, der durch die Tatsache, dass er auf einem wahren Ereignis beruht, noch tiefer unter die Haut geht und schmerzt. „Die Vögel sangen ihre letzten Lieder“ ist ein viel zu lieblicher Titel für diesen Bericht über den öffentlich geplanten Mord an drei jungen Männern. „The Evening Road“ heißt der 2017 erschienene und von Kahtrin Razum 2022 übersetzte Roman im Original.

Was nicht erforscht, festgestellt, aufgezeichnet oder mündlich kommuniziert wird, ist nicht vorhanden. Die Tänzerin und Choreografin Elizabeth Ward befasst sich mit dem Gebliebenen und dem Verschwiegenen im Körpergedächtnis der Tänzerinnen und Tänzer. Sie beschäftigt sich mit den Gärten im 17. Jahrhundert und findet in den Regeln Gemeinsamkeiten mit den Tänzen aus dieser Zeit. "Hedera Helix" ist eine Choreografie für vier Tänzer:innen, Licht und Musik, gezeigt im Tanzquartier.

Die amerikanische Lyrikerin und Schriftstellerin Sylvia Plath (1932­–1963) hat vor allem Kolleginnen und Kollegen befeuert, sich mit ihrem Leben und ihren Gedichten auseinanderzusetzen. Ihre Ehe mit dem britischen Dichter Ted Hughes und das schwierige Leben mit ihm waren eher dem Boulevard vorbehalten. Ihre Gedichte gelten als „Confessional Poetry“, und eine Art bekennende Prosa schreibt auch die schwedische Autorin Elin Cullhed mit ihrem Roman „Euphorie“. Notwendig ist dieser Roman nicht.

Über Jahre, dokumentiert sind sieben, hat sich für Leonard Cohen die Arbeit an seinem Song „Hallelujah“ hingezogen. Und als der kanadische Dichter endlich ein Ende gefunden hatte, lehnte die Plattenfirma das Album ab. In ihrem Dokumentarfilm „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ erzählen Daniel Geller und Dayna Goldfine die Geschichte eines und zugleich die Hochs und Tiefs im Leben Leonard Cohens, der mit 82 Jahren im November 2016 gestorben ist.

Aus 32 Lautsprechern tönt es, laut und ganz leise, grollend und sirrend. Menschliche Stimmen mischen sich darunter, zwei Tänzer und eine Tänzerin bewegen sich zwischen den schwarzen Tonkörpern, ergänzen, live singend, die elektronischen Klänge, die Lichtregie spielt mit und das Publikum bewegt sich mittendrin. „Blackboxed Voices“ nennt die Komponistin Martina Claussen ihre jüngste Komposition, die im Rahmen von Wien Modern in der großen Säulenhalle des Semperdepots (Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste) uraufgeführt worden ist.

Drei Frauen spielen eine Rolle in Elisabeth R. Hagers drittem Roman. Tapfere Außenseiterinnen, die in einem Tiroler Dorf ihr Leben selbst bestimmen wollen. Wären da nicht der beißende Humor und ineressant erzählte gescichte der Autorin, die auch Klangkünstlerin ist und in Berlin beim Deutschlandfunk arbeitet, könnte der Roman, in dem die Natur eine bedeutende Rolle spielt, als moderner Heimatroman durchgehen.

Wenn Daniela Georgieva und Hugo Le Brigand auf der Bühne erscheinen, ist klar: Im Mittelpunkt ihrer Performance „270206“ steht nicht, wie so oft, ein Selfie, die Präsentation des eitlen Selbst, sondern der Körper, der Tanzkörper in Bewegung. Nähe und Distanz, Isolation und Gemeinschaft, innige Umarmung und kalte Zurückweisung. Mit „270206“ haben Georgieva und Le Brigand im brut nordwest ein Tanzstück gezeigt, das neben der Freude an der Bewegung und der Begegnung zweier Körper auch vermittelt, dass der Tanz, der trainierte Körper im Raum aus Licht und Klang, noch existiert.

Tänzer bleiben Tänzer, auch wenn sie älter werden und der Körper Grenzen setzt. In einer Fernseh-Dokumentation beleuchtet Henrike Sanders den schwierigen Prozess des Abschieds von der Bühne, dem Freundeskreis, dem täglichen gemeinsamen Training. Ballettstars wie Polina Semionova oder Friedemann Vogel reflektieren über diese Zeit des Übergangs. „Ich denke immer, das Beste kommt noch“, sagt der Ausnahmetänzer Friedemann Vogel. Der eindrucksvolle Film mit Interviews und Ausschnitten aus dem Ballettsaal und von Aufführungen ist ab 20. November auf ARTE zu sehen. Auch Ballettfans müssen stark ein: Die Beginnzeit der 50 Minuten ist 23.25 Uhr.

Gefühle sind das Thema in der 1. Saison, der „emotionalen“, eines Performance-Projekts von Archipelago, genannt „Der Betrieb“. Die Idee ist zwischen Anna Maria Nowak und Alex Gottfarb entstanden, gemeinsam mit Anna Mendelssohn, Arttu Palmio, Karin Pauer und Charlotta Ruth ist die erste Saison konzipiert worden. Von Mittwoch bis Samstag wird jeden Nachmittag in einem ehemaligen Geschäft am Vogelweidplatz 13 getanzt, gedacht, erzählt, getextet und analysiert, spontan und emotional. Das Publikum darf kommen und gehen, wie es ihm passt und gefällt. Die Intensität der bewegten Körper und ausdrucksvollen Mienen, der Wörter und Gedanken wirft ihre Schlingen aus und man ist gefangen, kann sich kaum noch lösen. Die Zuschauerin wird zur Beteiligten.  

Es ist die Luvos-Welt, die die Choreografin Editta Braun mit ihrer Company jetzt auch im Film entstehen lässt. Lange bevor die „Phantastischen Tierwesen“ 2016 auf der Kinoleinwand erschienen sind, haben faszinierende, fremdartige Wesen – Tier oder Mensch, Pflanze oder Alien? – in Senegal ihre Premiere gefeiert. Der Urknall ereignete sich 1985. Inzwischen hat sich das Luvos-Universum über ganz Europa und darüber hinaus ausgedehnt und hat neben der Tanzbühne auch Film und Fernsehen erobert. Im Film „LUVOS migrations“ wandern die langbeinigen Wesen auch über Kinoleinwand.

Wer sich auf die Romane Friedrich Anis einlässt, gerät in eine düstere Welt, macht die Bekanntschaft von verletzten, einsamen, auch verbitterten im Schneckenhaus des Schweigens wohnenden Menschen, mit denen man im realen Leben kaum kommunizieren würde. In „Bullauge“ geht es darum, dass Licht und Schatten, rechts und links, nicht so scharf getrennt sind, wie man es gerne hätte. Im Zentrum steht die Polizei und der Polizist Kay Oleander, dem bei einer Demo in München das linke Auge verletzt worden ist.

^Tanz und Musk gehören zusammen, das weiß man auch im Festival Wien Modern. „Blackboxed Voices – I am Here“ nennt Martina Claussen die performative Klanginstallation für vier Performer:innen und 32 Lautsprecher, die am 12. November in der Säulenhalle des Semper-Depots (jetzt: Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste) Premiere hat.

Allein der Titel der Aufführung ist vielversprechend, aber auch verwirrend. „Pùnkitititi!“ ist eine Produktion des Salzburger Marionettentheaters gemeinsam mit dem Pool of Invention Ensemble, inspiriert vom ebenso begnadeten wie kindischen Komponisten Wolfgang Amadeus. Gern hat Mozart sich und anderen komische Namen gegeben, mit 30 war er der Pùnkitititi. Dieser kommt im November ins MuTh, damit das Publikum auch hier etwas zum Staunen und Lachen hat.

In seinem jüngsten Roman, „Samson und Nadjeschda“, auf Russisch unter demselben Titel erschienen 2020, erzählt Andrej Kurkow vom Bürgerkrieg in der Ukraine um das Jahr 1919 und dem Chaos nach der Russischen Revolution in Kiew. Unversehens hat der historische Roman durch den Kriegsausbruch in der Ukraine im Februar an Aktualität gewonnen. Skurril, melancholisch und auch unterhaltsam sind Andrej Kurkows Romane und Erzählungen. Selbst wenn er vom Bürgerkrieg nach der Russischen Revolution in der Ukraine erzählt, behält der Autor seinen von Leser:innen und Rezensent:innen geschätzten Stil bei. Kurkow ist Gast bei Buch Wien 2022.

Mit dem Roman „Die Meerjungfrau von Black Conch“ benützt die britische Autorin Monique Roffey gekonnt und originell den Mythos von der schönen Frau, die mit einem schuppigen Schwanz im Wasser lebt und versucht,  als Mensch unter Menschen zu leben, um ein Märchen für Erwachsene zu schreiben. Die bitter-süße Liebesgeschichte ist nur die rosafarbene Oberfläche einer Fülle von angesprochenen Themen, vom Kolonialismus und der Ausbeutung bis zum Fremdsein der Frauen in der Welt der Männer.

Schon immer war der gute Kriminalroman, richtig gelesen, ein Spiegel der Zeit, der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, der Nöte und Freuden der Menschen. Großartige Autorinnen verpacken ihre Analyse der herrschenden Verhältnisse in eine Kriminalhandlung, um die Scheinwerfer aufzudrehen und die Sinne ihrer Leserinnen zu schärfen. „Ein notwendiger Tod“ von Anne Holt und „Wintersonne“ von Katrine Engberg sind Beispiele für fundierte Kriminalromane, die Exemplarisches über die Welt und die darin Lebenden aussagen.

Keine Überraschung, keine Magie, viel Langeweile und einige schöne Momente. Martin Schläpfer hat die Notwendigkeit verspürt, mit dem Wiener Staatsballett  ein neues  „Dornröschen“ zur bekannten Musik von Peter I. Tschaikowsky einzustudieren. Die Buh-Rufe am Ende der dahinplätschernden Premiere am Montag waren unnötig, es gibt keinen Grund zur Aufregung, wie es halt auch keinen Grund gibt, diesen Mischmasch aus ungenau zitierten Pas de deux anderer Choreografen und den schon bekannten Schläpferschen Schrittfolgen aufzuführen. Dornröschen ist entzaubert.

Seinen mit Schachteln vollgepackten Einkaufswagen bezeichnet er als Auto, alte Socken und andere Fundstücke sind seine Schätze. Er wird sie mit den Kindern teilen. Unter der Kapuze der gelben Regenjacke steckt Wudri Hudriwudri, der einen Mischmatsch ausbreitet und, wenn er nicht auf der Bühne steht, singt und tanzt, heißt er Siruan Darbandi. Die Kinder kennen ihn als Mitglied des Trios Freispiel. Im Solo für Kleine ab Drei ist er allein und manchmal ein wenig einsam.

Éliette Abécassis, geboren 1969 in Straßburg, ist eine französische Schriftstellerin, Regisseurin und Drehbuchautorin, zwischendurch schreibt sie auch in Modezeitschriften. Ihr erster Roman, „Qumran“ ist 1996 erschienen und sofort übersetzt worden. Seitdem hat sie nahezu jedes Jahr ein neues Buch veröffentlicht. Warum ausgerechnet die 2003 erschienene kleine Geschichte „Clandestin“ unter dem unpassenden und hölzernen Titel „Eine unwahrscheinliche Begegnung“ jetzt übersetzt worden ist, bleibt ein Rätsel.

Mit einer neuen Crew startet das Schiff der Zeitreisenden auch im Dschungel Wien. Bert Gstettner / Tanz*Hotel zeigt für Heranwachsende tapfere Männer, die es mit Wind und Wellen aufnehmen und allen Ungewittern trotzen. Doch im Männlichkeitswahn hat es Risse gegeben, die Männer, die 1995 stampfend und brüllend begeistert haben, sind ein Vierteljahrhundert älter geworden, manche haben Bäuche. Auf der Bühne arbeitet eine junge Crew, als wären wir noch im vorigen Jahrhundert.

Ökonomie des Erzählens: Zwei Porträts in einem Rahmen. Der Schweizer Autor Lukas Hartmann widmet zwei Personen einen biografischen Roman, die miteinander nicht viel mehr miteinander zu tun haben als die Zeit, in der sie gelebt haben und ihre Verbindung zum Kommunismus. „Ins Unbekannte. Die Geschichte von Sabina und Fritz“ nennt Hartmann dieses Doppelporträt zweier unterschiedlicher Personen, die einander nie wissentlich begegnet. Gemeinsam haben sie das Todesjahr 1942. Die Jüdin Spielrein wird in Rostow von den Nazis ermordet, Platten von Stalins Schergen im sowjetruissischen Straflager Lipowo.

Aus dunklem Nebel tänzeln Gestalten auf Zehenspitzen, paarweise, einzeln, zu dritt. 17 Tänzer:innen der Compagnie Tanzmainz defilieren über die große Bühne im Festspielhaus Sankt Pölten: „Soul Chain“, eine Kette von Seelen oder Seelen in Ketten, ist ein umwerfendes Ballett, von der israelische Tänzerin und Choreografin Sharon Eyal 2017 für Tanzmainz geschaffen. Nach 50 Minuten reißt die geballte Kraft der Company das überwältigte Publikum von den Sitzen, lautstark und anhaltend macht sich die Menge Luft.

Eine Seelenkette? Oder doch, eingekette Seelen. In jedem Fall intensiver Tanz. Nach dem Einmarsch auf Halbspitze ballen sich die 17 Tänzer*) – scheinbar nackt, in hautfarbenen Trikots und ebensolchen Strümpfen, geschlechtslos*), jedoch nicht emotionslos – zum Schwarm. Eine unsichtbare Kraft treibt sie an, Aliens könnten sie sein, programmierte Avatare, zu körperlichen Höchstleistungen gepeitschte Autisten. Halbspitze und tiefes Plié für die Fortbewegung zerren auch beim Zuschauen an allen Sehnen und Fasern. Immer wieder löst sich eine Figur aus dem Schwarmkörper, versucht die Gruppe zu dirigieren oder will endlich für sich selbst sein. Herzergreifend: Vor Schmerzen gekrümmt. Der Maschinenkörper, das ist bald klar, besteht aus 17 Individuen, die im Gleichklang der abgezirkelten, oft ruckartigen Bewegungen ihre unterschiedlichen Emotionen zeigen. Sharon Eyal war bis 2008 Mitglied der Batsheva Dance Company und hat von deren Leiter, Ohad Naharin, die von ihm entwickelte Bewegungssprache Gaga übernommen. 2020 hat sie sich im Festspielhaus Sankt Pölten mit dem Ballet BC Vancouver mit der Choreografie „Bedroom Folk“ vorgestellt. „Das spezielle Gaga-Training und die Art, wie Sharon mit uns arbeitet, hat alle meine Sinne total geschärft“, wird im Programmheft die Tänzerin Amber Pansters zitiert.
Die Körper biegen und krümmen sich, vorwärts und rückwärts, driften auseinander, um sich schnell wieder im Gleichschritt zu finden. Oft liegen die Hände auf dem Bauch, als ob dort der Schmerz säße. Der Brustkorb wölbt sich, die Hüften knicken ein, der Rücken biegt sich konvex, Fäuste schießen nach vorn, verschwinden hinter dem Rücken. Keinen Stillstand, die Körper sind ständig in Bewegung, pausenlos zappeln die Beine, rudern die Arme, verschieben sich die Hüften, rollen die Schultern, heben sich Arme, bleiben in der Luft hängen. Gefühlte 20 Minuten, erzählt Maasa Sakano, muss sie ihren Arm hochhalten. Die Beine bleiben in Bewegung. In einer fast fröhlichen Szene werden die Frauen von den Männern in die Höhe geworfen.
Die Begegnung ist nur kurz, doch keineswegs zufällig.50 Minuten lang sind die Körper angespannt, die Spannung erfasst auch die Beboachter:innen im Saal. Angestachelt von den pulsierenden Beats steigert sich auch die Intensität der bewegten Körper. Das ständige Drängen der Musik und der geballten, ruhelosen Körper wird zur Droge, erzeugt eine meinem Körper Rausch und Beklemmung. Ein Effekt, den auch Ravels „Bolero“ hervorruft. Ein Tänzer rollt lange, unaushaltbar lange den Kopf. Eine autistische Bewegung, unerträglich, schmerzhaft, ich möchte schreien, kann nicht mehr hinsehen. Es muss Erlösung geben. Mit einem Knall überfällt mich die Stille, urplötzlich ist es schwarz vor den Augen, der Vorhang ist gefallen. Die ersten Erlösungsschreie erklingen aus den hinteren Reihen im Saal. Fast eine lockere Passage: Frauen werden in die Höhe geworfen. Der perfekte Umgang mit der Zeit, die Präzision der Compagnie Tanzmainz, die nahezu nicht menschenmöglichen Bewegungen der Tänzer in dieser erregenden Choreografie, die keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern erlaubt, machen den Abend zu einem einmaligen Erlebnis. Dass dabei das Glückserlebnis, das Tanz, ob klassisch, auf Sitze oder zeitgenössisch, frei beschert, ausbleibt, muss dieser Ausnahmechoreografie nachgesehen werden. Jedenfalls haben wir mit Tanzmainz eine exzellente, disziplinierte, gut trainierte Compagnie gesehen. Vor einer Woche, Sidi Larbi Cherkaoui mit seiner Company Eastman, jetzt Sharon Eyal mit Tanzmainzim Festspielhaus Sankt Pölten;  am 11. November kommt die mit einem Silbernen Löwen der Tanzbiennale in Venedig ausgezeichnete junge Choreografin Oona Doherty mit zwölf Tänzerinnen aus Belfast ins Festspielhaus Sankt Pölten. Es gibt ihn noch, den Tanz und auch das Ballett.

Tanzmainz / Sharon Eyal: „Soul Chain“
Choreografie: Sharon Eyal, Künstlerische Beratung: Gai Behar.
Kostüme: Rebecca Hytting; Komposition: Ori Lichtik; Licht und Bühne: Alon Cohen; choreografische Assistenz: Rebecca Hytting, Tom Weinberger.
Tanz: Elisabeth Gareis, Daria Hlinkina, Cassandra Martin, Nora Monseccour, Amber Pansters, Maasa Sakano, Marija Slavec-Neeman, Milena Wiese, Zachary Chant, Paul Elie, Finn Lakeberg, Christian Leveque, Federico Longo, Jaume Luque Parellada, Cornelius Mickel, Matti Tauru, Alberto Terribile.
Fotos: © Andreas Etter.
Premiere: 28. Oktober 2017, Staatstheater Mainz. Gastspiel im Festspielhaus Sankt Pölten, 15. Oktober 2022.
*) In dieser Aufführung haben die Tanzenden nur ein generisches Geschlecht: Tänzer

Ulduz Ahmadzadeh: „Tarab“ im Tanzquartier. Endlich wird einmal!  Im Tanzquartier wird getanzt, richtig getanzt. Worte braucht es keine. Der Körper erzählt, tanzt und springt zu aufwühlenden Rhythmen und in der Stille. Großartig! Ulduz Ahmadzadeh, geboren im Iran, in Wien lebend und arbeitend, erforscht mit sieben Tänzer:innen ihrer Gruppe ATASH عطش contemporary dance company alt Tänze aus vorislamischer Zeit und begeistert samt dem Perkussionisten, Mohammad Reza Mortazavi, das Publikum in der gefüllten Halle G / Tanzquartier.

Zwei Seiten einer Medaille zeigt die Volksoper, indem zwei im selben Jahr entstandene Werke Peter I. Tschaikowskys ineinander verwoben werden. Die Oper „Jolanthe“ und das Ballett „Der Nussknacker“, auch am selben Abend, dem 18. Dezember 1892, allerdings hintereinander, im Mariinski-Theater in St. Petersburg uraufgeführt. Volksopernintendantin Lotte de Beer inszeniert gemeinsam mit dem Choreografen Andrey Kaydanovskiy, Omer Meir Wellber dirigiert, das Publikum applaudiert begeistert.

Sie ist jung, sie ist ambitioniert, sie spielt Klavier, tanzt und komponiert. Auf ihren Dokumenten steht Una Wiplinger. Als multitalentierte Künstlerin nennt sie sich Oona Minoo. Im Porgy & Bess hat sie vor einer auserlesenen Schar von freundlich gesinntem Gästen einen Soloabend gewagt. Oona / Una allein mit dem schwarzen Flügel. Genregrenzen lässt sie nicht gelten, alle ihre Talente will sie in der knappen Stunde zeigen. Also drückt sie die Tasten, plaudert aus dem Leben und turnt mit dem Piano.

Mit seiner jüngsten Choreografie, „Vlaemsch (chez moi)“, denkt der bewunderte Künstler Sidi Larbi Cherkaoui über das Fremdsein im Geburtsland nach und überspringt jegliche Grenze. „Chez moi“ im Titel bedeutet „zu Hause“, „Vlaemsch“ ist ein altes Wort für flämisch. Im Pass von Cherkaoui steht „Belgien“, geboren ist er in Antwerpen, in seinem Herzen steht als Heimat wohl „Bühne, Tanz und Musik“.

Eröffnung der Tanzsaison 2022/23 in Linz mit der Premiere einer Inszenierung von Johannes Wieland, „Neuzeit“ genannt. Wieder einmal kann das Ensemble seine Qualität beweisen. Ob Schöntanz in Spitzenschuhen, anstrengende Akrobatik oder Tanztheater, wie Choreograf Wieland es verlangt, die 17 Tänzer:innen von Tanz Linz scheuen keine Anstrengung, sind geschmeidig, präzise und energiegeladen. Auf der großen Bühne des Linzer Musiktheaters nicht einfach. Auch wenn „Neuzeit“ eher verstörendes Tanztheater ist, der Jubel am Ende der Premiere  war ohrenbetäubend.

Zum 44. Mal finden in Mistelbach die internationalen Puppentheatertage statt. An sieben Festivaltagen zeigen 25 Theatergruppen ihre Inszenierungen für ein Publikum von 2­99 Jahren. Doch spricht nichts dagegen, wenn auch 100-Jährige die von Gliedermännchen und -weibchen, von Raupen und Elefanten und natürlich dem Kasper erzählten Geschichten sehen und hören wollen.

Anna Nowak und Alexander Gottfarb werden emotional. Nach der vielen Arbeit in Verhandlungen („Negotiations“) und Begegnungen („Encounters“) wird nun im „Betrieb“ der Denkprozess angekurbelt. Am 5. Oktober wird „Der Betrieb“ als Denkraum am Vogelweidplatz eröffnet und ist danach an vier Tagen in der Woche bis 10. November geöffnet.
Die Erklärungen für die Fortsetzung der Serie der „dauernden Performances“, benannt „Der Betrieb“, geben die Projektverantwortlichen, Anna Maria Nowak und Alexander Gottfarb / Archipelago am besten selbst:

Yishun is Burning“ nennt der Multimedia-Künstler Choy Ka Fai sein jüngstes Werk. Eigentlich ist es der zweite Teil eines Doppelabends aus der Serie „Cosmic Wander“, in der Ka Fai schamanische Tanzkulturen Asiens erforscht und Schaman:inen in seiner Heimat Singapur, in Taiwan, Indonesien und anderen Ländern interviewt. „Wander Double Bill“ besteht aus „The Third Prince“ und „Yishun is Burning“, ein kurzweiliger Abend, der im brut nordwest bejubelt und bejohlt worden ist.

Christine Gaigg macht Theater. Die Choreografin führt Regie bei der Adaption des Films „Rote Sonne“ von Rudolf Thome, der 1970 in den Kinos gezeigt worden ist. Das Alter der Erzählung spielt dabei keine Rolle, Gaigg kann die gewalttätige Handlung mühelos ins Heute übersetzen. Der Film war für die 1970er Jahre in zweifacher Hinsicht revolutionär: „Weil er die Position der Frauenbewegung aufnimmt und spielerisch vertritt, und wie er als Film erzählt ist.“ (Rudolf Thome)
Am 8. Oktober ist Premiere im V°T// Volx, Margaretenstraße.

Tanz als „Futter für die Seele, als Impuls- und Taktgeber und als Wertschätzung des Miteinanders im Hier und Jetzt“ gilt es beim tanz_house festival im Oktober zu entdecken und zu feiern. Die Choreografin Editta Braun, nicht nur in Salzburg, sondern auch international renommiert, hat als Festival-Kuratorin ein abwechslungsreiches, niveauvolles Programm zusammengestellt und sich auch Gedanken über Sinn und Zweck der künstlerischen Arbeit allgemein und von Choreografie und Tanz im Speziellen in Zeiten von Pest und Cholera gemacht.

Zu Recht ist die Solotänzerin Ioanna Avraam nach ihrem Debüt als Tatjana in John Crankos so fein ziseliertem Ballett „Onegin“ nach dem Versroman „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin zur ersten Solotänzerin ernannt worden. Technisch auf höchstem Niveau kann sie auch in der Rolleninterpretation überzeugen. Eno Peçi , individuell als Onegin, Davide Dato, unnachahmlich als Lenski und Sonia Dvořak als Olga gehören ebenso zu diesem befriedigenden Abend wie das Corps de Ballet. Schade nur, dass sich der Publikumszustrom in Grenzen gehalten hat.  

Dschungel Wien, das Theaterhaus für junges Publikum, hat vier Hexen eingeladen, die aktuelle Saison zu eröffnen. Es ist die letzte der erfolgreichen Intendantin Corinne Eckenstein. Im Rahmen einer Feierstunde wird sie am 7. Oktober im Kasino am Schwarzenbergplatz für ihre langjährige künstlerische und kulturpolitische Leistung mit dem Stella*22-Sonderpreis der Assitej geehrt. 

Die lahmen Pferde galoppieren wieder durch London. Nach ihren eigenen Regeln. Autor Mick Herron beobachtet zum 5. Mal Jackson Lamb und seine „Slow Horses“, die sich an keine Regel halten, auch nicht an die ungeschriebenen Londoner Regeln, deren erste heißt: „Rette deinen Arsch“. Einmal sind es die grauen Männer mit Krawatten und Köfferchen, die das Unheil heraufbeschwören, ein anderes Mal ein toter Spion und russische Oligarchen, und im 5. Band sind es Terroristen, die im Dorf Abbotsfield ein Massaker anrichten.

Zwei spektakuläre Tanzprojekte zeigen, wie eine junge Generation Tänzer:innen aus aller Welt Pinas Choreografien neu entdeckt: Die Ballettkompanie der Semperoper in Dresden probt Pinas Tanz-Oper „Iphigenie auf Tauris“ zur Musik von Christoph Willibald Gluck. Und an der École des Sables im Senegal proben Tänzer:innen aus ganz Afrika Pinas Ballett „Le Sacre du Printemps“ begleitet von Igor Strawinskys Komposition. Der deutsche Dokumentarfilmer Florian Heinzen-Ziob begleitet die Arbeiten auf zwei Kontinenten. Im Kino ist nun hautnah zu erleben, wie die Tänzer:innen sich die Choreografien von Pina Bausch aneignen.

Gerne erzählt Alex Capus von Menschen, Schweizerinnen und Schweizer zumeist, aber nicht so bekannt wie es Uhrwerke oder Schokolade einst waren. Diesmal ist es eine Frau, Susanna Faesch, die sich später als Malerin CarolineWeldon genannt hat, deren Leben Capus als Basis für eine mit Empathie und Respekt geschriebenen fesselnden Roman nimmt. Capus recherchiert genau, besucht auch die Orte der Handlung und mischt dann gekonnt historische Fakten und einfühlsam Erdachtes. Das Bild einer eigensinnigen, freiheitsliebenden Frau, die am Beginn des industriellen Zeitalters lebt. Liebevoll verwandelt der Autor die historische Person zu einer sympathischen Romanfigur.

Einen „betrunkenen Berg“, kann nur bei Heinrich Steinfest gefunden werden. Betrunken oder Schnee bedeckt, der neue Roman des österreichischen Autors eignet sich so recht als Lektüre an einem warmen Spätsommertag, ist es doch dort oben, in 1.765 Meter Höhe eisig kalt. Die Wolken hängen tief, die Schneeflocken wirbeln, drei Menschen und eine Alpendohle warten mit warmen Herzen auf den Frühling.

 Bücherberg heißt Katharinas Geschäft hoch oben im Gebirge. © pixabay, lizenzfreiDer Autor, mit dem vierdimensionalen Sprachgefühl und jeder Pore voll von Geschichten, erzählt von den Dreien, vom Berg und dem Wetter voller Überraschungen und davon, was die Menschen im Innersten umtreibt. Bei allem Amüsement, das diese Geschichte von der Buchhändlerin Katharina Kirchner, die in luftiger Höhe Bücher über die Welt der Berge zum Verkauf arrangiert hat, bietet, verankert sie der Autor fest auf dem Grund eines gar nicht so seltenen Problems. Darüber ließe sich vortrefflich nachdenken, so die Leserin den mutig genug ist, in die dunklen Ecken der Erinnerungen zu leuchten. Doch zunächst darf man sich unterhalten und Herrn Steinfests ausgefeilte Formulierungen genießen, die schwarzen Wolken tauchen erst später auf. Katharina genießt auch, nämlich in der toten Saison, wenn die benachbarte Alpenvereinshütte geschlossen ist, 100 Meter unter dem Gipfel nahezu klösterliche Klausur. Täglich besucht Katharina n der Wintersaison den Gipfel "ihres" Berges.   © Lizenzfreie / WalterBieck auf PixabyUnerwartet, wie so oft,  jedoch wird sie zur Herbergsmutter, gibt fremden Besuchern Unterschlupf, öffnet die vorsorglich für die Wintermonate im Schutzhaus eingelagerten Vorräte und das Feuer im Kamin in ihrer kleinen Wohnung hinter dem Laden. Ob sie, trotz mangelnder Kundschaft, elegant gekleidet als „Blusen-Frau, die hart im Nehmen ist“ in ihrem Bereich waltet, oder sich doch gebirgskonform in ein Dirndl hüllt, ist mir nicht berichtet.
Auch die Alpendohle muss vor den erfrieren gerettet werden, allerdings hat sie, im Gegensatz zum Mann ohne Gedächtnis, nicht die Absicht, ihr Leen zu beenden. © Reto Barblan / waldwissen.netDen ersten Gast findet Katharina auf einer ihrer täglichen Wanderungen zum Gipfel des Kogels. An diesem Tag, der Erzähler weiß nicht mehr so genau, welcher Wochentag es war, ortet Katharina beim Aufstieg in einer Kuhle einen Menschen, der es nötig aufgetaut zu werden. Katharina verzichtet, ihren Weg nach oben fortzusetzen und macht sich samt tiefgefrorenem Mann auf den Abstieg. Dieser wird von ihr sorgfältig aufgetaut, er ist zwar ziemlich enttäuscht, dass er sein Leben nicht verloren hat, kann aber nicht sagen, wer er ist, woher kommt und wie er heißt. Es stellt sich bald heraus, dass er Kochen kann. Doch Koch ist er keiner. Katharina nennt ihn Robert und im Laufe der Geschichte erfahren die Leserinnen auch, wie er wirklich heißt und wer er ist. Würde Katharina sich für die bildende Kunst interessiert, die Autor Steinfest übrigens als malend und formend selbst betreibt, oder auch für den Boxsport, würde sie den Fremden, der sich selbst nicht kennt, sofort erkennen. Schnnekkunst am Polarkreis, Robert versucht sich ebenfalls als Schneebildhauer. © polarkreisportal.de
Bevor aus gutem Grund auch die Lawinenexpertin eintrifft, ist es eine Alpendohle, die im Bücherberg, so hat Katharina ihren Laden getauft, aufgetaut werden muss. Das Taufen wird Katharina zur Gewohnheit, das heißt feierlich getauft wird nicht, wie Robert erhält auch der Vogel einfach einen Namen: Sharp. Die Lawinenspezialistin der oberösterreichischen Landesregierung muss nicht getauft oder benannt werden, sie kann den Ihren nennen: Linda Hellmund, gebürtig in Hamburg. Könnte das "Selbstporträt eines lächelnden Mannes auf der Spitze des Berges“ sein. © nordlandblog .de
 Der Berg, nebenbei bemerkt, hat keinen Namen, er bekommt auch keinen. Doch um das für diesen fast zweitausend Meter hohen Gipfel bedeutungsvolle Personal zu vervollständigen, sei noch erwähnt, dass zwei unsichtbare Gäste im Bücherberg anwesend sind. Denn neben den Lebensgeschichten des Trios, die Autor Steinfest zu erzählen hat, wird auch die Geschichte von Simon und Emmy erzählt. Sie haben gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Dorfklatsch beflügelt, als sie gemeinsam eine Nacht auf dem Berggipfel, also diesen Berggipfel, auf dem sich längst auch die Leserinnen befinden, verbrachten, verbringen mussten. Simon und Emmy waren gemeinsam aufgestiegen, weil Simon das Bedürfnis hatte, auf dem unbekreuzigten Gipfel, Bald fliegt die Alpendohle, von Katharina Sharp getauft, wieder, bleibt aber in der Nähe der Freundin.   © wikipedia,  gemeinfreidas fehlende, jedoch obligate, Gipfelkreuz samt dem notwendigen Büchlein, in dem sich alle Gipfelstürmer und Stürmerinnen verewigen konnten, anzubringen. Skandal? Klar. Simon war der örtliche Pfarrer und die abenteuerlustige Emmy sehr jung. Die Nacht aber hatte weniger mit Erotik zu tun als mit einem Unwetter, wie es auch Katharina und ihre Gäste heimsuchen wird. Diese Geschichte von Emmy und Simon ist zu einem Roman geworden, mit dem Katharina und Robert, später auch Linda, vorlesend die Abende im Bücherberg verbringen. „Selbstporträt eines lächelnden Mannes auf der Spitze des Berges“ ist. Autor Steinfest liebt es knapper: „Der betrunkene Berg“. Robert hat noch gar nicht gewusst, dass er ein Bildhauer ist, als er täglich, noch bevor der Morgen graute, den Schnee zu formen begann. Das letzte Werk ist „Der betrunkene Berg“, aber da wusste er bereits alles. Vor gut 150 Jahren hat Pfarr Simon das Gipfelkreuz montiert.  © lizenzfrei / pixabay
Dieses „alles“ ist das Herz des Romans, das, was die drei Hauptfiguren im Innersten zusammenhält. Sharp, die längst wieder flügge ist und nur aus der Ferne grüßt, ist damit nicht belastet. Sie entdeckt keine Schuldgefühle im Vogelherzen, zumal sie auch nicht danach sucht. Robert aber, findet angesichts des nahenden Todes sein Gedächtnis wieder, wie er tatsächlich heißt, hat Katharina schon bei einem Seitenblick in ein altes Magazin erfahren. Buchcover: "Der betrunkene Berg", © Piper Verlag.Aber auch Sie und Linda finden Vergrabenes und Verdrängtes. Wie mit den Schuldgefühlen weiterleben? Sich mit einem hingeworfenen „Ich entschuldige mich“, ist es nicht getan, bei wem denn auch? Die bekannten drei Ave-Maria oder seien es doppelt so viel, helfen auch nicht. Um sich wieder frei zu fühlen, muss man schon hoch oben den Tod nahen sehen. Irgendwie gebeichtet wird doch auch und sei es nur sich selbst. Doch Sensenmann hin, Quiqui her, die Gefahr ist gebannt, die Vergangenheit geklärt, der Himmel blau und nicht nur Linda verspürt statt des Nagens ihes Gewissens das eines knurrenden Magens. Robert macht sich an die Arbeit.

Heinrich Steinfest: „Der betrunkene Berg“, Piper 2022, 240 Seiten. € 22,70.
Für das Foto des Autors (auf dem Birkenkopf bei Stuttgart) bedanke ich mich beim Fotografen Heinz Heiss.

Einen neuen Roman von Patrick Modiano zu beginnen, kommt dem Besuch eines geliebten Ortes gleich, den man immer wieder besucht, um festzustellen, dass er derselbe geblieben ist und doch ganz anders aussieht. Im jüngst erschienenen Buch wandert die Hauptperson nicht nur durch Paris, sondern sucht die verlorene Zeit auch im nahen Chevreusetal. „Unterwegs nach Chevreuse“ ist nicht nur für seinen Protagonisten, Jean Bosmans, eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch für den Autor selbst, hat er doch seine Kindheit in der Straße von Dr. Kurzenne verbracht.

Der expressionistische Maler Franz Marc steht im Mittelpunkt des jüngsten Romans von Tilman Röhrig. „Der Maler und das reine Blau des Himmels“ ist ein etwas sperriger Titel, deutet aber darauf hin, worum es hier geht: um einen Unterhaltungsroman. Franz Marc dient lediglich als Schablone, Röhrig erzählt eher eine Liebesgeschichte, mit viel Herz und noch mehr Schmerz.

Sie sind wieder da, die Zeitsegler, und doch sind es nicht dieselben. Es sind eher ihre Kinder oder gar Enkelkinder, falls Zeitreisende über die Meere irgendwann Zeit finden, Nachkommen zu zeugen. Jedenfalls erinnern Setting und Musik im Odeon an die ersten Time*Sailors in den frühen 1990er-Jahren. Die Schiffsbesatzung ist jung und neu, doch nahezu alle Beteiligten der ersten Crew sind am Kai. „Time*Sailors – the Return“ erinnert im Odeon auf Einladung von ImPulsTanz an frühe Erfolge des Tänzers und Choreografen Bert Gstettner.

Voguing und Posieren auf dem Catwalk als Charakteristik von Trajal Harrells Körpersprache ist nur an der Außenhaut gekratzt. Er benützt die Elemente aus der queeren New Yorker Subkultur der 1980er-Jahre, doch er bleibt nicht an der oft recht spaßigen Oberfläche. Was er mit dem beeindruckenden Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble zum betörenden Gesang von Joni Mitchell und den Improvisationen des Pianisten Keith Jarrett zeigt, ist elementar und magisch, flirrend leicht und bedrückend schwer, grotesk und gespenstisch. Der Abend „The Köln Concert“, im Rahmen von ImPulsTanz im Volkstheater gezeigt, ist ein Erlebnis.

ImPulsTanz im Freien, doch nicht zum Mittanzen. Vier Tänzerinnen, ein Tänzer, begleitet von acht Musiker:innen, tummeln sich auf Gras und auch auf Beton. Ein schwieriges Unterfangen, für Ablenkung rundum ist gesorgt, Absagen wegen Starkregens sind inkludiert. Am 1. August präsentierte das Team die von Eva-Maria Schaller konzipierte „musikalisch-choreografische Intervention“ im Stadtpark vor einem interessierten und am Ende begeisterten Publikum.

Modern Chimeras“ tummeln sich beim ImPulsTanz Festival im Odeon. Chris Haring und das von ihm geleitete Ensemble Liquid Loft tarnen und täuschen, werden zu nie gesehenen Wesen, Schimären eben. Dazu braucht es eine Menge Kostüme und Stoffe und ein dementsprechendes An- und Ausziehen, Ein- und Auswickeln samt Rein- und Raus-Gerenne. Das ermüdet etwas, die 60 angegebenen Minuten dehnen sich.

Akram Khan warnt vor dem klimatischen Kollaps und fordert Respekt für die Natur. Als Tänzer hat er begonnen, jetzt will er vor allem Choreograf und Regisseur sein, als Solist will er nicht mehr auf der Bühne stehen. Für seine neue Tanz-Show hat er Rudyard Kiplings Erzählung von Mowgli, der im Regenwald von Wölfen aufgezogen wird, als Basis gewählt und trendig aktualisiert. Die Klimakrise steht im Zentrum. Mit großartigen Tänzer:innen, einer filmtauglichen Musik und künstlerischen Animationen kann er im Burgtheater das Publikum des ImPulsTanz Festival begeistern.

Transformation, Verwandlung ist beim diesjährigen ImPulsTanz Festival mehrfach das Thema. Die in Berlin und Budapest lebende ungarische Tänzerin Boglárka Börcsök hat die Kunst der Verwandlung im Körper gespeichert. In „Figuring Age“ porträtiert sie im Mumok drei ungarische Tänzerinnen, Pionierinnen des Freien Tanzes in Ungarn. Irén Preisich, Éva E. Kovács und Ágnes Robozt waren alle drei an die 100 Jahre alt, tanzen konnten sie nicht mehr, Andreas Bolm hat ihren eingeschränkten Alltag zu Hause gefilmt.

Akemi Takeya, eine der Säulen des heimischen freien Tanzes und der Performance, wollte als Kind Sängerin werden. Das ist nicht gelungen, doch die Stimme als Ausdrucksmöglichkeit begleitet sie seit sie auf der Bühne steht. In ihrer jüngsten Arbeit, „Schrei X8“, stellt sie die Stimme, den Schrei, „als Urform der Kommunikation“, in den Mittelpunkt.

Die belgische Needcompany, das ist die Familie Lauwers: Vater Jan, der Regisseur, Mutter Grace Ellen Barkey, die Choreografin und die beiden erwachsenen Kinder, Romy Louise und Victor. Sie stehen als Familie auf der Bühne, sind sie selbst und spielen zugleich ihre Rollen, vermischen Privates mit Öffentlichem, reden über den Krieg und die Liebe, über Gewalt und Sex, über den Tod und die Unsterblichkeit der Kunst.

Wolken segeln auf der Videowand über einen grauen Himmel, die Geräusche einer Sturmflut drohen Unheil an. Im Dämmerlicht erscheinen nach und nach sechs Tänzerinnen in dunkelblauen Hosen und farbigen Sneakers, mit bloßem Oberköper. Im Akademietheater zeigt Mathilde Monnier mit "Records", was Pandemie und Lockdowns in die Körper eingeschrieben haben. Wie genau Monnier auch die Gefühle des Publikums trifft, zeigt die angespannte Stille ebenso wie das aufflammende kurze Gelächter und die Begeisterung die sich abschließend Luft macht.

Im Rahmen von [8:tension] waren zwei Arbeiten zu sehen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die Tänzerin, Choreografin und bildende Künstlerin Sara Lanner hat gemeinsam mit Costas Kekis „Mining Minds“ im Kasino am Schwarzenbergplatz gezeigt; Susanne Songi Griem war im Schauspielhaus mit dem Musiker Pete Prison IV und Agnes Bakucz Canário mit „Fisch und Schwan in Negligé“ auf der Bühne.

Rosas heißt Anne Teresa De Keersmaekers Compagnie, gewidmet ist die neue Arbeit, „Mystery Sonatas“, zur gleichnamigen Komposition von Heinrich Ignaz Franz Biber fünf kämpferischen Frauen mit Namen Rosa: Rosa Bonheur, Rosa Luxemburg, Rosa Parks, Rosa Vergaelen und Rosa, die 15-jährige Klimaaktivistin, die bei den Überschwemmungen in Belgien im Jahr 2021 ums Leben gekommen ist. So weit so schön – 90 Minuten lang. Weniger schön ist, dass das Publikum bestraft wird, indem es weitere 45 Minuten (also fast zweieinnhalb Stunden insgesamt) im Dämmerlicht ausharren muss. Die Erschöpfung der doppelten Konzentration auf Tanz und Musik macht sich auch im wenig animierten Premieren-Applaus hörbar.

Flora Fabbri war eine italienische Tänzerin im 19. Jahrhundert. Wie Marie Taglioni oder Carlotta Grisi war sie berühmt für ihren Spitzentanz als feenhaftes Wesen. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen hat sich ihr Ruhm keine 100 Jahre gehalten. Mit der Biografie will der Schweizer Tänzer Thierry L. Jaquemet Flora Fabbri wieder in die Tanzgeschichte einreihen.

Igor Zapravdin, der Maestro, feiert sein Jubiläum als Ballettkorrepetitor und Pianist beim Wiener Staatsballett (davor Ballett der Wiener Staatsoper). Das Publikum feiert mit und klatscht sich die Hände wund. Es hat doch noch eine Gala zum Saisonabschluss bekommen. Gastsolist:innen und Solist:innen des Wiener Staatsballetts ehren den Jubilar mit Pas de deux und Solis, mit klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz. In den oberen Etagen des Staatsballetts hat man dieses außergewöhnliche Jubiläum nicht zur Kenntnis genommen. Für den Maestro, sein Helfer:innen-Team und die Tänzer:innen: Bravo zum ersten.

700 Seiten pures Lesevergnügen plus Wissensbereicherung. Doch der sorgfältig editierte Band „Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern“ ist kein trockenes Sachbuch, das ungelesen im Regal steht. Die spanische Autorin Irene Vallejo ist inspiriert von ihrer Begeisterung für das aufgezeichnete Wort und erzählt die Geschichte des Buches als spannendes Abenteuer von der ersten Schilfernte am Nil über die Erfindung des Alphabets bis heute.

160 Euro, den Friseur nicht eingerechnet, hat die Dame in der Loge ausgegeben, um eine festliche Ballettvorstellung zu sehen. Bekommen hat sie einen glanzlosen bis langweiligen Abend, mit einer Einlage von Schülerinnen (garniert von Schülern) der Ballettakademie und einer Flamenco-Darbietung. Mit dem Tänzer und Choreografen Rudolf Nurejew hat der von Manuel Legris unter dem Titel „Nurejew Gala“ eingeführte Saisonabschlussabend gar nichts zu tun. Es würde niemandem wehtun, gäbe es schlicht eine „Gala“ zum Saisonende. In der kommenden Saison verzichtet Ballettchef Martin Schläpfer ohnehin auf ein zu 100 Prozent ausverkauftes Haus und einen würdigen Saisonausklang.

Nach und nach werden vom Diogenes Verlag die „Kenzie & Gennaro“-Krimis von Dennis Lehane neu übersetzt. Aktuell ist der fünfte Fall, „Prayers for Rain”, erschienen 1999, von Peter Torberg übersetzt worden und hat den Titel „Kalt wie dein Herz“ bekommen. Lehanes reiches Œuvre besteht nicht nur aus den sechs Fällen für Kenzie & Gennaro, sondern auch aus anderen faszinierenden Romanen, Kurzgeschichten, Bühnenstücken und Drehbüchern. Fünf seiner Romane sind verfilmt worden, darunter auch: „Gone Baby Gone“ (Diogenes, 2020) aus der „Kenzie & Gennaro“-Reihe. Zarten Gemütern sind weder Lehanes Romane noch die Verfilmungen zu empfehlen..

Einst gab es eine Zeit, da war den Menschen Liebe, Freundschaft und Respekt wichtiger als Geld und Gold. Das war vor tausendundeiner Nacht, bei uns in Bagdad. Die Menschen zahlten für Kunst und Kultur mit ihrem Steuerbeitrag und werteten diesen auf, falls sie im Gefolge einer oder mehrerer Musen waren, durch den Preis ihrer Eintrittskarte in den Musentempeln. In vielen dieser Tempel, in der Stadt der Tänzer und Geiger, wird Musik gemacht, dazu drehen sich Ballerinen und Ballerinos.

Ein Projekt, um Choreografie-Talente in der Compagnie zu entdecken und „jungen Choreografen“ eine Spielwiese zu geben, gibt es schon lange und in vielen Ballett-Ensembles. In Wien heißt die Vorstellung choreografischer Experimente seit diesem Jahr „Plattform Choreographie“. Die Premiere war als Matinee am Feiertag in der Volksoper angesetzt. Zwei Tänzerinnen und vier Tänzer haben sich auf die Plattform gewagt und mit Kolleginnen und Kollegen ihre choreografischen Ideen verwirklicht. Feiertag war’s, Sommerhitze herrschte,  zahlende Zuschauer:innen waren kaum zu sehen. Wer gekommen war – junges Volk,  Freund:innen, Kolleg:innen und alle, die mit dem Wiener Staatsballett in Verbindung sind –, zeigte mit Jubel und Applaus lautstark Begeisterung und belohnt damit auch den Mut, sich auf ein Metier einzulassen, das dem Tanz vorausgeht.

Der Esel (Equus asinus asinus) ist nicht dumm, das sei einmal festgehalten, und die Eselei, betrieben von den Mitgliedern der schallundrauch agency ist eine kluge und abwechslungsreiche Performance. Es wird geplaudert und gesungen, musiziert, informiert und auch etwas zaghaft getanzt. Ein aufschlussreiches Vergnügen das, nach einer ersten Aufführung ohne Publikum, im Dezember 2021 an zwei Premierenabenden gezeigt worden ist und jetzt aufgefrischt Schulkinder ab 12 unterhält. Nach der kurzweiligen Vorstellung landen Eselin und Esel als Stars im Naturkundeunterricht.

Bedächtig rollen sieben Tänzer:innen einen farbigen Teppich auf der Bühne des Odeon Theaters aus. Eine Patchwork-Arbeit aus nicht festgenähten bunten Tüchern, die später in Kostüme verwandelt werden. Mit der neuen Produktion „Encantado“ macht die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues / Companhia de Danças auf ihrer Europa-Tournee auch bei den Wiener Festwochen halt. Auf der Bühne toben die Tänzer:innen, danach tobt das Publikum auf der Tribüne.

Der Garten bleibt im Garten, auch wenn Lisa Hinterreithner über und mit der Natur spricht und arbeitet. Im ehemaligen Turnsaal in der Viktor-Christ-Gasse ist die Natur im Ruhezustand. Mit Hinterreithner laden drei Performerinnen das Publikum ein, die Alltagshektik abzulegen und mit der Natur in Dialog zu treten. Lisa Hinterreithner, Rotraud Kern, Sara Lanner und Linda Samaraweerová leiten das Publikum durch das sorgfältig gebaute Setting, in dem auch die Gäste Teil der Performance sind.

Ein dreiteiliger Abend, wie ihn das Publikum liebt. Die Pausen sind länger als die Tanzstücke: Drei Choreografien aus dem Tanzarchiv, entstanden zwischen 1975 und 1992 von den Choreografen Hans van Manen, Merce Cunningham und der Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker, in der Volksoper vorgestellt vom Wiener Staatsballett unter dem Titel „Kontrapunkte“. Drei große Namen, drei interessante Werke, dennoch ist es nicht gelungen, die Volksoper zu füllen, die Ränge sind nahezu leer geblieben. Eine Premiere am Wochenden, dem Samstag vor Pfingsten, anzusetzen, von dem im ORF vollmundig behauptet wird, „ein Großteil der Österreicher ist auf dem Weg nach Süden“, zeugt von wenig Wertschätzung ­– für die Tanzkunst und auch deren Freund:innen.

Zum 80 Geburtstag der Fotografin Christine de Grancy widmet ihr das Theatermuseum in Wien eine Ausstellung ihrer im Burgtheater entstandenen Fotos. 400 Bilder legendärer Produktionen aus der Direktionszeit von Achim Benning (1976–1986) hat die Künstlerin ausgewählt und in 14 Kapiteln zusammengefasst. Eine Zeitreise zurück in die Jahre als Čechov, Gorkij und Turgenjew en vogue waren und Birkenwäldchen die Bühne dekorierten.

Am 7. Juni gilt es, den 70. Geburtstag des großen türkischen Romanciers Orhan Pamuk zu feiern. Als erster Türke hat er (2006 den Nobelpreis für Literatur erhalten, mit 11 Romane hat er die Leserschaft in aller Welt begeistert, die ungezählten Preise haben hoffentlich Freude bereitet. Sein neuer Roman, „Die Nächte der Pest“, im Februar erschienen, liegt bereits in der 4. Auflage auf den Büchertischen und bietet sich mit fast 700 Seiten bestens als Urlaubslektüre an.

Die alte Kultur, die, die Tänze, die Rituale dürfen nicht verschwinden. Die marokkanische Choreografin und Tänzerin Bouchra Ouizguen hat drei Frauen eingeladen, mit ihr zu singen und zu tanzen, damit das gefährdete Ephemere sich nicht gänzlich auflöst. Der Elefant ist nicht von ungefähr zur Titelfigur erhoben, auch er ist gefährdet, wenn nichts geschieht, sind Elefanten bald nur noch im Tiergarten zu sehen.