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Claudia Bosse hört den Atem der Erde

Haunted landscapes or the breathing out of earth ist das vierte Kapitel in der Serie über verwundete Landschaften. Bisher hat Bosse mit ihrem Team die Wunden der Erde vor allem dort gezeigt, wo sie entstanden sind: in der Landschaft. Jetzt, da Nebel und Wolken die Sonne verschlingen und den Aufenthalt draußen unangenehm machen, ist sie unter das Dach des Tanzquartier gezogen und hört dort auch die Erde atmen.

Probenfoto: Was kann mit den Latexhäuten alles angefangen werden? Die Landschaft (landscape) – Der Wald, der Strand, das Meer, Nebel wallen, Vulkane spucken. Auch die Natur hat die Landschaft verletzt, hat Narben hinterlassen, die Oberfläche verändert. Ein faszinierendes Video aus Indonesien an der hinteren Wand.
Das Publikum – sitzt im lockeren Kreis um den Erdmittelpunkt, wird selbst zur Landschaft, hört wie Regisseurin Bosse von den Wunden und Narben erzählt. Nicht nur der Mensch mit seinen Bohrmaschinen und Spitzhacken verändert Land und Meer, Wüste und Wald, auch die Natur selbst, Wind und Wetter erodieren und polieren die Landschaft. Nicht nur in Europa, auch in Afrika und Indonesien (bald werden in Claudia Bosses atmenden Landschaften im Tanzquartier Kuhglocken die Gamelanmusik ersetzen). Demeter: Fresko von Cosmè Tura, 1430–1495. © lizenzfrei / wikipedia Die Wesen in der Landschaft: Fünf Tänzerinnen in Jeans, mit bloßem Oberkörper bevölkern die Erde, umtanzen den Mittelpunkt. Häute aus braunem Latex liegen übereinander, sie könnten auch den gesamten, sich ständig verändernden Planeten symbolisieren. Jianan Qu, Carla Rihl, Marcela San Pedro, Lena Schattenberg und Irwan Ahmett sind Erdgeister und Nixen, sind der Atem der Erde, keuchen, fauchen, säuseln, schnappen nach Luft, wandern durch die Landschaft, malen Zeichen in den Himmel, tappen im Nebel. Kämpfen gegen unsichtbare Feinde, bohren sich unter die Erdkruste, die Latexhäute werden zu wärmenden Mänteln, sind schwere Last, Schutz und Schirm.HadHHades entführt Kore auf einem Einhorn. Zeichnung von A. Dürer aus dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig.. © lizenzfreiDie fünf Wesen in der Landschaft sind auch Demeter, die griechische Fruchtbarkeitsgöttin, sind ihre Tochter, die Kore, Töchterchen, gerufen wird, doch Persephone heißt. Dieses arme Mädchen Kore / Persephone ist eines der ersten MeToo-Opfer. Hades, der Totengott, hat sie in der Unterwelt eingesperrtt. Die Oberwelt, die von Demeter zum Blühen und Grünen gebracht werden soll, verwandelt sich in eine Wüste. Die Tränen der Mutter eignen sich nicht zum Gießen. Ich mach‘ es kurz: Zeus, der Obergott, mischt sich ein, Hades erscheint bei der Mediation, Kore / Persephone darf ein halbes Jahr oben leben, dann muss sie wieder hinab, die Erde geht schlafen. Claudia Bosse denkt an ihre Zeit im Kindergarten und lässt eine Tänzerin mit Ton spielen und griechische Göttinnen basteln. Probenfoto: Das Video mit Landschaften an der hinteren Wand ist bereits eingeschaltet.
 Bosse zaubert durch das Niederreißen der vierten Wand, durch das Einbeziehen der Zuschauerinnen in die Bühnenlandschaft ein üppiges Bildertheater, in das jeder Einfall, jeder Effekt hineingepresst wird. Beschränkung und Reduktion zählen nicht zu den vielen Talenten der Claudia Bosse. Mit diesem Hang zur Endlosigkeit und Üppigkeit zerbröselt sie im Lauf von zwei Stunden ihre so präzise Choreografie, langweilt mit Wiederholungen und vielem bei ihr und bei anderen schon einmal Gesehenen. Was anfangs dicht war, wird flach, die Aussagekraft geht verloren, die Landschaft zieht sich zurück, verschwindet am Horizont.  Vor der Vorstellung: Die Landschaft wird zurechtgemacht. Nach 90 Minuten ist alles gesagt, alles gezeigt, alles gefühlt. Die Erde tut sich auf, die fünf Geister verschwinden darunter, verlassen die Landschaft, das Publikum rundum starrt ins Nichts. Ein effektvoller, eindrucksvoller, passender Schluss. Doch Applaus ist noch nicht angebracht, es fehlen noch 30 Minuten, die Coda. Aber die letzte Note ist längst verklungen, die Bilder sind verblasst und die Gedanken haben die Köpfe gefüllt. Ich fühle Mitleid mit den nimmermüden Protagonistinnen, die sich noch einmal aufraffen müssen, um eben dieses gar nicht so richtig aus der Installation gewachsene Schwanzerl anzuhängen.
Den schönen Schluss, wenn Gewitter und Sturm musikalisch lostoben, Wolken und Nebel sich als Video über die Landschaft legen und die Geister, Göttinnen, Erdmännchen und -frauen den Bodenbelag aufreißen und sich darunter verkriechen und Stroboskopblitze blenden bis die schwarze Nacht hereinbricht, dieses effektvolle Finale lasse ich mir nicht verwässern. Klammheimlich schleiche ich aus dem dämmrigen Raum.

Claudia Bosse: HAUNTED LANDSCAPES or the breathing out of earth, 25. – 26.10. 2024, Tanzquartier
Choreografie, Text, Raum, Objekte: Claudia Bosse  Claudia Bosse, Choreografie, Text, Raum, Objekte- Foto: © Elsa Okazaki
Performance: Marcela San Pedro, Lena Schattenberg, Carla Rihl, Jianan Qu, Irwan Ahmett, Claudia Bosse
Sound: Günther Auer; Dramaturgie: Adam Czirak, Krassimira Kruschkova; Kostüm: Julia Zastava ; Licht: Paul Grilj; Produktion, künstlerische Assistenz: Larry Meyer; Videoeinrichtung, Dokumentation: Markus Gradwohl; Technischer Support, Salzobjekt: Christopher Schulz;  Produktionsassistenz: Ines Kaiser;
Pressebetreuung: Die Kulturproduktion;  Kommunikation: Magdalena Knor
Fotos: © Eva Würdinger

Latente – Erkennen durch Berühren

Die Tänzerin / Choreografin Martina De Dominicis richtet in ihrer Performance Latente den Fokus auf den fünften Sinn, den Tastsinn, um vieles, was die Augen nicht sehen, ans Licht zu bringen. Was latent ist, kann man noch nicht sehen. In der Philosophie steht die Latenz für verborgene Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten, die den Augen verborgen bleiben, werden in Latente von De Dominicis gemeinsam mit der Tänzerin Magdalena Forster geweckt.

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Ballett: Rollendebüts am Schwanensee

Mehrfache Rollendebüts machten die 258. Aufführung des Balletts Schwanensee zum Ereignis. Vor allem Erste Solotänzerin Ioanna Avraam, Solotänzer Arne Vandervelde und Halbsolist Calogero Failla haben mit ihren Figuren Premiere gefeiert. Auch wenn dem Publikum dieses persönliche Fest verborgen geblieben ist, tost der Applaus durch die Wiener Staatsoper. Er gilt vor allem der neuen Schwanenkönigin Ioanna Avraam und dem einfühlsamen Ballettdirigenten Paul Connelly.

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„Idol“, inklusives Tanzevent von Adrienn Hód

Das richtige Stück zur richtigen Zeit. Gelebte, getanzte Inklusion auf der Bühne des WuK. Die ungarische Tänzerin und Choreografin Adrienn Hód bringt Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten auf die Bühne und verzaubert das Publikum mit dem Tanzstück Idol.

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21 Tänzer:innen in hauchzarten enganliegenden Ganzkörpersuites unter rosafarbenem Licht in streng geometrischer Ordnung. Im Eröffnungsbild von Olivier Dubois Choreografie Come Out zur gleichnamigen Musik von Steve Reich beeindruckt die Bodhi Project Dance Company nach der Premiere im Salzburger Tanzfestival Sommerszene auch im Tanzquartier in Wien. Kräfteraubende 50 Minuten, die die Dichotomie des Lebens, Anspannung und Ermattung, Gemeinschaftssinn und Selbstbestimmung, widerspiegeln.

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„Romeo und Julia“ unter Strom in der Vorstadt

Es könnte eine Zeitungsmeldung sein: Freitod zweier Jugendlicher. Romeo M. und Julia C. geraten in die Hochspannungsleitung und sterben zuckend unter Starkstrom. Sie wollten es so, weil ihre Liebe nicht geduldet worden ist. Caroline Finn inszeniert William Shakespeares Drama „Romeo und Julia“ mit dem hervorragenden Ensemble TANZ LINZ im Musiktheater. Bei der Premiere am 7. Oktober zeigt sich Publikum lautstark begeistert.

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„Kingx and Qweens“: Tanzakrobatik mit Tiefgang

Mit der Uraufführung eines fulminanten Tanzstücks haben die Choreografin / Regisseurin Corinne Eckenstein das jugendliche Publikum im Dschungel begeistert. Die Tänzerin Maartje Pasman, der Sänger und Tänzer Futurelove Sibanda und der Choreograf und Tänzer Joseph Tebandeke zeigen Bühnenpräsenz und extreme Körperarbeit. Vermittelt werden Erkennen des eigenen Potenzials, Selbstbewusstsein, Individualität und Gemeinschaftssinn.

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„Giselle“, Ballett mit zahlreichen Debuts

Hyo-Jung Kang und Brendan Saye eröffneten die Serie des Balletts „Giselle“ in der aktuellen Saison. Sowohl die Erste Solistin Hyo-Jung Kang wie der Erste Solist Brendan Saye haben ihre Rollen, Giselle und Albrecht, zum ersten Mal mit dem Wiener Staatsballett getanzt. Im Corps de Ballet waren ebenfalls mehrere Rollendebüts zu sehen und auch der Dirigent, Wolfgang Heinz, gibt sein Debüt an der Staatsoper. Der Abend hat sich als Tanz in der Porzellankiste entwickelt, vorsichtig statt mitreißend, emotionslos statt gefühlvoll.

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Ohne Glanz und Gloria: Dornröschen entzaubert

Keine Überraschung, keine Magie, viel Langeweile und einige schöne Momente. Martin Schläpfer hat die Notwendigkeit verspürt, mit dem Wiener Staatsballett  ein neues  „Dornröschen“ zur bekannten Musik von Peter I. Tschaikowsky einzustudieren. Die Buh-Rufe am Ende der dahinplätschernden Premiere am Montag waren unnötig, es gibt keinen Grund zur Aufregung, wie es halt auch keinen Grund gibt, diesen Mischmasch aus ungenau zitierten Pas de deux anderer Choreografen und den schon bekannten Schläpferschen Schrittfolgen aufzuführen. Dornröschen ist entzaubert.

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Mit grossen Augen über das Leben staunen

Seinen mit Schachteln vollgepackten Einkaufswagen bezeichnet er als Auto, alte Socken und andere Fundstücke sind seine Schätze. Er wird sie mit den Kindern teilen. Unter der Kapuze der gelben Regenjacke steckt Wudri Hudriwudri, der einen Mischmatsch ausbreitet und, wenn er nicht auf der Bühne steht, singt und tanzt, heißt er Siruan Darbandi. Die Kinder kennen ihn als Mitglied des Trios Freispiel. Im Solo für Kleine ab Drei ist er allein und manchmal ein wenig einsam.

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