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Claudia Bosse / Theatercombinat beschäftigt sich in haunted Landscape/s mit veränderten, auch verwundeten Landschaften und das Publikum sitzt mitten drin, in so einer verwundeten Landschaft, „Seestadt“ genannt. Die Brache vor einem Betonklotz ist die Bühne für eine beeindruckende Performance, in der über den Wandel der Landschaftsbilder im Lauf der Jahrmillionen nachgedacht wird.

 Die Bewegungschöre kommen vom Horizont, um die öde Landschaft zu erobern.Claudia Bosse spricht den Prolog, erzählt auch von ihrer Geburtsstadt Salzgitter und erinnert an die Schichten, die unter unseren Füßen liegen und taucht mit der im echten Wortsinn großartigen Performance tief in die griechische Mythologie ein.
Das Brachland erstreckt sich weit bis zum Horizont, im Nordosten sind die Silhouetten der Wiener Hausberge zu sehen, weiter nördliche erzählen Kräne von der Zukunft, in der 25.000 Menschen in diese Neustadt an der Lacke leben sollen. „Seestadt“ wird die Ansammlung von Wohnklötzen hochfahrend genannt.Geisterhafte Wesen verbinden sich mit der Natur. Einladend wirkt die öde Betonlandschaft nicht. Doch so kleinlich denkt Claudia Bosse nicht, sie liebt den großen Bogen, erweitert die Bühne bis zum Horizont, bezieht die Himmelslandschaft samt den im Blau segelnden Wolken mit ein. Aus dem Nichts taucht eine Gruppe von Menschen auf, blau gekleidet, als ob sie zur Arbeit gingen. Es sind die beiden Bewegungschöre – Mitglieder der Initiative Jugend am Werk und der Kunstgruppe PPS – Public Performance School des Theatercombinats. Sie erforschen die Landschaft, bearbeiten sie, nehmen mit dem Publikum Kontakt auf, bilden eine Einheit und zerstreuen sich wieder, erobern kreisend das gesamte riesige Areal. Tanz der Dämonen aus dem Erdinneren auf staubigem Boden.
Aus dem Staub erheben sich die Tänzerinnen, Anna Biczok, Carla Riehl und Lena Schattenberg. Sie kommen aus dem Untergrund, von dort, wlo der personifizierte Tod, Hades, Kore, die Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter gefangen gehalten hat. Demeter war die Erste, die die Landschaft verändert hat. Nach der Entführung ihrer Tochter verödete ihr Herz und damit auch die Welt, nichts mehr ist gewachsen. Ohne Nahrung konnten die Menschen nicht überlebe, Hades wartete vergeben auf Nachwuchs in der Unterwelt. Er einigte sich mit Demeter: Kore (Persephone) durfte ein halbes Jahr auf der Erde bei der Mutter und die andere Hälfte unten bei Hades verbringen. Der Raub der Proserpina (römischer Name für Persephone), Marmorstatue von Gian Lorenzo Bernini (1598-1680).Fotografiert von Heré Leyrit in der Galeria der Villa Borghese / Rom. Veröffnetlicht auf Pinterest. So sind die Jahreszeiten entstanden.
Anna Biczok hat die Aufgabe, davon zu erzählen. Den Text hat Claudia Bosse geschrieben.  Weniger naarativ als assoiativ ist das Textmonster, das Lena Schattenberg zu bewältigen hat. Heiner Müllers Prosatext herakles 2 oder die hydra tut weh – nicht von der verwundeten Lanadschaft wird berichtet, sondern vom verwundeten Menschen. Den Wortkaskaden ist allerdings schwer zu folgen. Wind und Wolken, das Bühnengeschen, spazierende , readelnde Großfamilien lenken ab, lassen den Geist schweifen. Im Rücken des Publikums fährt die U-Bahn, hier zu einem H- (wie Hochbahn) Zug mutiert, wieder zurück in die lebendige Stadt und drei sehr junge Bewohnerinnen der toten Stadt schauen eine Weile den sich im Staub wälzenden dämonischen Geistern zu. Hinter ein paar Gräsern nicken Straußvögel mit den Hälsen. Doch es sind armlange Luffa Schwämme, die den Darstellerinnen als allerlei Dekor dienen, sie zu Dämonen, Tieren oder Geistern aus dem Erdinnern und der Erinnerung machen. Die Menschen haben die Wunden registriert, sie knien nieder, wimmern, heulen und jammern – vielleicht beten sie auch.
Die Natur muss einverstanden sein mit diesem rituellen, präzise geplanten und perfekt gezeigten Spektakel: Die Sonne wärmt die Beiwohnenden, die schwarze Wolke wird vom sanften Wind vertrieben, und wenn der indonesische Performer Irwan Ahmett stinkende gelbe Schwaden in den Himmel bläst, werden die Grausbirnen vom wohligen Pathos der Aufführung versüßt. Eine kleine Drohne – oder doch eine Hummel? – schwirrt lautlos über das Feld und die Köpfe. Zufällig oder geplant? Egal, sie passt perfekt, sowieso ist alles in Bewegung, nichts bleib, wie es ist. Die Brache, eine Gstett'n auf gut Wienerisch nimmt man als Bild von der sogenannten Seestadt mit ins onrgisch gewachsene Wien.
Auch die Gedanken schwirren, währen Schattenberg Heiner Müller rezitiert, fallen mir die toten Soldaten, die unter der Erde liegen. Österreich hat zwar damals. Im Mai vor 215 Jahren fand hier bei Aspern eine mörderische Schlacht statt. Der Sieg der Österreicher gegen Napoleons Heer, erwies sich als Luftblase, 27.000 Soldaten kamen nicht mehr nach Hause. Die Chöre und Solistinnen erinnern auch an sie. Die Augen folgen der kleinen Drohne, die Gedanken schwirren zum Olymp, suchen Kore / Persephone, die gerade auf der Erde ist. Es herrscht Frühling. Die Bühne wird ins innere des Gebäudes verlagert, damit vor einem Video im Salz der Erde gewült werden kann.
Nach anderthalb Stunden zerstreuen sich die Chormitglieder und verschwinden im Nichts. Auch die Tänzerinnen verkriechen sich, sind unter der Erde, hinter den Büschen, nicht mehr hier.  Irwan Ahmett bedeutet den gedankenschwer Träumenden, dass der letzte Teil des Ereignisses im Inneren des Gebäudes stattfinden wird. Sinnigerweise unter der Erde, im Keller, der sich Seestadt-Studios nennt und der performativen Kunst als Proben- und Aufführungsraum gewidmet ist. Ich verzichte, habe keine Lust mehr, unter die Erde zu krabbeln und nach Videobesichtigung und Tänzerinnen-Auftritten wieder hinaufzusteigen. Ich bin nicht Persephone.
Ganz zu Ende ist das grandiose Schauspiel keineswegs.  Salz rieselt auf die Tänzerin. Ein Bild, das verstört. Bosse hat keine Angst vor Pathos und hält es nicht mit dem Kleinvieh und seinem Mist. Haunted Landcape/s ist als Serie geplant. Folge 2 findet an einem echten See statt. Entanglement with ghosts (or artemis in a haunted forest), eine Installation im Waldareal am Wörthersee für das Mahlerforum wird am 15. Juni eröffnet und bleibt so bis Ende Oktober 2024.
Staffel 1 schließt am 24. Oktober im Tanzquartier mit haunted landscape/s or the brathing out of earth. Doch am Horizont schimmert bereits eine 2. Staffel der Serie.
Die Freiluftveranstaltung auf der Gstettn im 22. Wiener Bezirk bleibt dennoch ein einmaliges Erlebnis. Salz, Schwefel, Gold, Silber oder Kobalt – ob sie will oder nicht, die Erde muss all ihre Schätze hergeben.  Nicht immer ist verständlich, was Claudia Bosse / Theatercombinat so auf die unterschiedlichsten Bühnen stellt, doch immer ist es perfekt geplant und durchgeführt. Nicht nur die bewegte und bewegenden Chormitglieder und die Tänzerinnen sind zu bewundern, auch der Live-Sound von Günther Auer (Naturgeräusche in allen Tonlagen und Lautstärken) ist eine optimal ausgesteuerte Komposition. Claudia Bosse weiß, wie man Theater macht, sie setzt auf Perfektion, auf Asdruck und Eindruck. Sie hat ein fomales und auch ein inhaltliches Konzept, doch dieses zu erkennen, bleibt den Zuseherinnen überlassen. Die regieführende Autorin manipuliert nicht, mahnt nicht, pregidgut und urteilt nicht. Die Moral von der Geschicht:  selber denken ins Pflicht.

Claudia Bosse / Theatercombinat: haunted landscape/s. 8., 10., 11., 12. Mai 2024, Seestadt-Aspern.
Konzept/Choreografie/Raum/Objekte: Claudia Bosse
Performance: Anna Biczok, Carla Rihl, Lena Schattenberg, Claudia Bosse und Irwan Ahmett.
Texte von Claudia Bosse und Heiner Müller
Bewegungschor A: Darstellerinnen aus der Einrichtung Jugend am Werk am Seebogen.
Bewegungschor B: Darstellerinnen aus der PPS public performance school von Theatercombinat
Live Sound: Günther Auer. Fotos: © Markus Gradwohl


Wir betreten einen stillen, sanft beleuchteten Raum. Bühnen-Rauch tritt hervor und Harfenmusik ertönt. Das Erwachen einer in schwarz gekleideten Prinzessin, die im Goth-Style das Publikum in ein unbekanntes Märchen entführt. Agnes Bakucz Canário zeigt am 10. Mai die Premiere von Sadis-Rose, her Litany, the Sacrifice. Ein Tanzstück, das in die verträumte Welt von Unsicherheit und spiritueller Hingabe zieht.


Die letzte Ballettpremiere der aktuellen Saison gehört der Volksoper. Unter dem Titel Les Sylphides gibt das Wiener Staatsballett drei unterschiedliche Werke unterschiedlichen Alters zum Besten. Auf die titelgebende Choreografie, Les Sylphides von Michel Fokine, folgt ein Choreografieversuch der Tänzerin Adi Hanan, genannt Eden. Den Abschluss des Abends bildet Klavierkonzert Nr. 9 Es-Dur von W. A. Mozart, zu dem Uwe Scholz das Ballett Jeunehomme, benannt nach dem inzwischen verpönten Spitznamen der Komposition, kreiert hat. Ein heiterer, für das Publikum wenig anstrengender Abend.


Mit der aus ungarischen und in Wien lebenden Künstlerinnen zusammengesetzten Compagnie Hodworks hat die ungarische Tänzerin und Choreografin Adrienn Hód die zweistündige Performance Shared Values erarbeitet. Doch ist die Aufführung nicht als fertiges Stück gedacht, die Zuschauerinnen wohnen der Entstehung eines Werkes bei. Uraufführung war am 4. Mai im Wuk.


Nach einer fulminanten Ouvertüre hat Bogdan Roščić am vergangenen Sonntag dem Opernpublikum in einer abwechslungsreichen Schau das Opernprogramm für die kommende Saison vorgestellt. Einige wenige Minuten sind auch dem Ballettprogramm gewidmet worden. Zwei Premieren in der Staatsoper und zwei in der Volksoper, die schon mit dem Volksopernprogramm angekündigt worden sind, mischen sich in die Repertoire-Vorstellungen.


Der italienische Erfolgsautor Sacha Naspini. © Kein & Aber

Ein kleines Dorf in der südlichen Toskana, an einem Felsen klebend, mit einem markanten Glockenturm, aus der Zeit gefallen. Ein sterbendes Dorf ohne Namen. „Le Case“ wird die Ansammlung von ein paar Häusern und einer Bar genannt, „Die Häuser“. Aus diesen Häusern dringt ein Chor von Stimmen, die von Träumen und Enttäuschungen berichten. Hinter verschlossenen Türen ist der deutsche Titel des italienischen Erfolgsromans Le Case del Malcontento (Die Häuser der Unzufriedenheit) von Sacha Naspini.