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Nach einer fulminanten Ouvertüre hat Bogdan Roščić am vergangenen Sonntag dem Opernpublikum in einer abwechslungsreichen Schau das Opernprogramm für die kommende Saison vorgestellt. Einige wenige Minuten sind auch dem Ballettprogramm gewidmet worden. Zwei Premieren in der Staatsoper und zwei in der Volksoper, die schon mit dem Volksopernprogramm angekündigt worden sind, mischen sich in die Repertoire-Vorstellungen.


Der italienische Erfolgsautor Sacha Naspini. © Kein & Aber

Ein kleines Dorf in der südlichen Toskana, an einem Felsen klebend, mit einem markanten Glockenturm, aus der Zeit gefallen. Ein sterbendes Dorf ohne Namen. „Le Case“ wird die Ansammlung von ein paar Häusern und einer Bar genannt, „Die Häuser“. Aus diesen Häusern dringt ein Chor von Stimmen, die von Träumen und Enttäuschungen berichten. Hinter verschlossenen Türen ist der deutsche Titel des italienischen Erfolgsromans Le Case del Malcontento (Die Häuser der Unzufriedenheit) von Sacha Naspini.


Drei Tänzerinnen im nebligen Gegenlicht. Rund um sie schnarrt und schnurrt, donnert und scratscht, brummt und knallt es. Fluscia nennt Daniela Georgieva ihre Choreografie für ein Quintett, denn so präsent wie die Tänzerinnen Hugo Le Brigand, Valentino Skarwan und Lina Venegas sind auch die beiden Musikerinnen, Tanja Fuchs, Moritz Nahold, auf der Bühne im brut nordwest. Am 25. April war die Uraufführung von Fluscia zu sehen und zu hören.


Claudia Bosse nimmt sich viel vor. Immer. Vieles und nichts Gewöhnliches. Die kommende Großproduktion Haunted Landscape(s) macht da keine Ausnahme. Mit 30 Performerinnen komponiert sie an begehbaren Orten aus Bildern, Körpern, Klängen, Bewegungen, Texten, Mythen und Ritualen eine Serie von Aufführungen, deren Premiere am 8. Mai draußen in der Seestadt stattfindet.


Manche lieben Katzen, andere Hunde und auch Blumen werden geliebt. Holzbretter, Stoffballen und Plastikballone eignen sich weniger für eine Liebesbeziehung. Der Performer und Choreograf Oleg Soulimenko sieht das ein wenig anders. Von Liebe spricht er zwar nicht, aber von einer Beziehung und Auseinandersetzung mit den Dingen. Deshalb bringt er sie in seinem jüngsten Stück, Cloth Ball Square, auch auf die Bühne im Tanzquartier.  

Das Quadrat dient als Versteck. Aus eigenem Antrieb können sich nicht lebendige Systeme nicht verändern und auch nicht vermehren. Zwar ist Materie, etwa Gestein oder Wasser, imstande Wärme zu speichern und wieder abzugeben, doch Energie gewinnen und sie auch verwandeln können nur lebendige Organismen wie Pflanzen, die durch die Photosynthese Lichtenergie in Biomasse verwandeln. Oleg Soulimenko verwandelt die leblose Materie in lebendig scheinende Wesen. Ein quadratisches Panel, mit braunem Lack überzogen, eine grau glänzende Stoffbahn, geschmeidige Ballonseide sind die ersten Mitspieler. Der Ball aus dem Titel der Performance taucht erst gegen Ende auf. Rollt herbei als grün glitzernde Überraschung. Aus der schier endlosen Stoffbahn wird eine Puppe.
Am Beginn jedoch wird erzählt. Soulimenko, die beiden Tänzerinnen Dafne Moreno und Daria Nosik berichten von der langen Reise nach China. Von dort haben sie den wunderbaren grünen Ballon mitgebracht, der bewohnt und bewegt werden kann. Das chinesische Wunder rollt alle anderen, den Choreografen, die Tänzerinnen, das Quadrat, das auf die Spitze gestellt zur Raute wird, und die sich blähende und wellende Ballonseide, in den bunten Schatten. Die Wartezeit in China wurde zum Probieren genutzt. Das fertige Objekt musste über die Meere und durch den Zoll gebracht werden. Keine Frage, dass die drei Performerinnen eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben. Daria Nosik und Dafne Morreno an der Arbeit mit Stoff und Quadrat.
Moreno, Nosik und Soulimenko benützen die große Bühne der Halle G als Spielplatz. Wie die Kinder tollen sie umher, verstecken sich hinter dem braunen, holzartigen Paneel, wickeln sich in die Seide ein und wieder heraus, erzeugen Bilder aus der Kunstgeschichte.Magritte scheint sie inspiriert zu haben, Kandinsky vielleicht auch. Es werden Kreise gebildet und Linien, Diagonale und geordnetes Chaos. Wenn zwei mit den Objekten beschäftigt sind, Die schmiegsame Ballonseide ist eine willige Mitspielerin. tanzt die dritte Figur in einer Ecke, gibt Zeichen mit den Armen, doch der Semaphor, den ich in der linken hinteren Ecke sehe, reagiert nicht. Vergeblich warte ich, dass er blinkt und leuchtet. Stattdessen blitzt kurz Soulimenkos Hinterteil auf, bunt eingehüllt, wie bemalt.
Sveta Schwin hat das Lichtdesign, einen wesentlichen Teil der Performance, gestaltet, Phänomenal! Die kleinen Lampen am Himmel bilden bewegte Linien, als ob Sterne über die Milchstraße laufen. Die Schlagschatten zeigen tiefes Grün, die Seide schimmert in allen Farben. Die Lichtregie von Sveta Schwin verzaubert Tänzerinnen und Objekte mit einen Regenbogen.Wenn wir genau schauen, können wir die leblose Materie beleben. So kann auch ein Stein zum Haustier werden. Er lässt sich streicheln und bekleiden oder bemalen, er bellt nicht, maunzt nicht, frisst und verdaut nicht. Doch mit Pinsel und Farbe erhält er ein neues Aussehen, und wenn er lang genug in der Sonne gelegen ist, wärmt er Bauch und Rücken.
Allmählich wird das Spiel mit Stoff (entspricht der Linie) und Paneel (ist ein Quadrat) langweilig, die Möglichkeiten der Interaktion sind vielfältig, aber doch begrenzt. Und dann, nachdem schon einige Handys aufgeblitzt sind, um die Uhrzeit anzuzeigen – 70 Minuten sind versprochen –, sehe ich das grau verhüllte Riesenhaupt einer Medusa. Frans Poelstra und Oleg Soulimenke beim Aufbau für die Perfrmance „The Feeling of Home“, Leipzig 2023. © Schauspielhaus Leipzig.Der Schleier wird abgenommen und der Höhepunkt aus China, die ob ihrer Bauweise nahezu unheimliche grüne Kugel wird sichtbar. Sie wird innen durch einen Schlauch oder Gang geteilt und hat auch an der Außenhaut einen Eingang ins Innere.Daria Nosik zeigt nun eine wahre Zirkusnummer, erklettert den großen Ball, setzt ihn mit ihrer Kraft in Bewegung und fällt nicht herunter, innen im Ballon wartet Soulimenko auf sie. Dafne Moreno öffnet das Ventil, ganz langsam und leise verliert der Ballon die Luft, ist nicht mehr lebendig, sondern nur noch Plastik-Materie. Oleg Soulimekon, Tänzer, Choreograf, Autor.  Foto: EDUCULT Talks
Oleg Soulimenko beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit der toten Materie, der Beziehung zu den Objekten und dem genauen Blick darauf. Die Dinge können behindern, beschützen und animieren, die Wirklichkeit gibt es nicht, eine rote Lampe eingeschaltet, und die Welt ist ganz neu. Woran kann man sich halten? Doch der aus Charkiw gebürtige Performer nimmt auch diese (zurzeit besonders) instabile Welt nicht ganz ernst, er ist ein Schelm:  faustdick hinter den Ohren, den Schalk im Nacken.
Dennoch, nach 40 Minuten würde ich, wäre ich Kürzungsdramaturgin, zehn Minütchen streichen.

Oleg Soulimenko: Cloth Ball Square Performance mit Objekten.Tanzquartier, 19., 20. April 2024.
Konzept, künstlerische Leitung: Oleg Soulimenko
Choreografie, Performance: Dafne Moreno, Daria Nosik, Oleg Soulimenko
Musik: Peter Plos; Bühne: Alfredo Barsuglia; Dramaturgie: Katalin Erdödi; Textberatung: Rosemarie Polarkov; Licht: Sveta Schwin; Kostüm: Ruth Erharter
Fotos: © Alfredo Barsuglia, Verena Gross


Kaum sind alle Vögel da und haben mit Tirili und Tirila den Frühling begrüßt, streckt bereits die Sommersonne ihre goldenen Fühler aus: Das ImPulsTanzfestival wird auch heuer gefeiert – zum 41. Mal mit schwingenden Armen und stampfenden Füßen. Schon am 24. April kann die Teilnahme an den Workshops gebucht werden.