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Fluscia: Ton, Licht, Tanz, ein Beziehungsdrama

Valentino Skarwan, Lina Venegas, Hugo Le Brigand, stumm vor den Mikrofonen.

Drei Tänzerinnen im nebligen Gegenlicht. Rund um sie schnarrt und schnurrt, donnert und scratscht, brummt und knallt es. Fluscia nennt Daniela Georgieva ihre Choreografie für ein Quintett, denn so präsent wie die Tänzerinnen Hugo Le Brigand, Valentino Skarwan und Lina Venegas sind auch die beiden Musikerinnen, Tanja Fuchs, Moritz Nahold, auf der Bühne im brut nordwest. Am 25. April war die Uraufführung von Fluscia zu sehen und zu hören.

Keine Belästigung, bitte. Lina Venegas weist Valentino Skarwan und Hugo Le Brigand in die Schranken. Fluscia ist ein Kunstwort, das deutlich auf das Fließende hinweist. Geräusche, harter Beat, hämmernder Technosound fließen mit den Bewegungen der Tänzerinnen zusammen. Ob das Donnern und Knallen, das punktgenau mit den Bewegungen der Tänzerinnen zusammenfällt, die Tanzkörper steuert oder ob die drei Körper die beiden Musikerinnen samt dem Lichtmeister (Samuel Schaab) auf Trab halten, ist nicht auszunehmen und auch nicht so wichtig.
Anfangs tanzen die drei jede für sich, spielen mit ihren Hüllen, die Anna Sedlmayr den Körpern in Schichten verpasst hat, putzen auch ihre blau schimmernden Galoschen, geben mit den Armen Zeichen, fallen, sitzen, gehen. Mitunter lichtet sich der Nebel, dann sind die drei nur noch als Schatten zu sehen. Schicht um Schicht werden die Kostümteile abgetragen.
Mit der Gemütlichkeit der distanzierten Bewegungen hat es bald ein Ende, alle fünf werden von einem Furor gepackt, Fuchs, als Wassernixe verkleidet, schnappt das Mikrofon, zu Tanz und Sound gesellt sich Gesang. Die Tänzerinnen rasen im Kreis, um sich endlich zu einer Skulptur zu vereinen. Die Körperskulptur erinnert an die marmorne Figur  Laokoon mit seinen Söhnen im Todeskampf. Lina Venegas, eine furiose, ausdrucksstarke Tänzerin.Wogegen die Tänzerinnen kämpfen, wird nicht klar, doch sie tun dies mit Kraft und Ausdauer. Venegas zeigt einen beeindruckenden Hexentanz, einen Kampf um Selbstbehauptung. Ein seltsamer Moment der Stille tritt ein. Die Musik schweigt, die Pulte sind verlassen, der Tanz ruht, alle fünf sind auf der Bühne. Die Musikerinnen irgendwo im Nebel, die Tänzerinnen auf Sesseln, mit Mikrofonen vor sich. Ehe man beginnt, Ruhe und Stille zu genießen, wird gesprochen, jede in der Muttersprache und bald alle zugleich. Ein wortreiches Chaos, eine Manifestation der Sinnlosigkeit. Unaufhörlich fließt die Stoffbahn aus einer glitzernden, an Ketten hängenden Röhre im Hintergrund. Im Vordergrund schimmern die blauen Gummischuhe, bald erlöschen die kreischenden Lichter, die Mitwirkenden reihen sich an die nicht existierende Rampe, um den verdienten Applaus entgegenzunehmen. Hugo Le Brigand und Daniela Georgieva in „270206“, brut 2022.
 Georgievas Arbeit erinnert an ihr Duett 270206, das sie mit Hugo Le Brigand 2022 im brut uraufgeführt hat. Diesmal ist sie nicht auf der Bühne, doch das Thema, das sie beschäftigt, ist eine Fortsetzung. 270206 beschäftigte sich mit Nähe und Distanz der beiden Körper; Fluscia zeigt Nähe und Distanz der Körper zu Licht und Sound. Die Kontinuität ihrer Arbeiten zeigt sich auch im Team Georgievas. Es hat sich seit 2022 nicht verändert. Ihre Arbeiten sind eine wohltuende Ausnahme aus dem Einheitsbrei immer gleicher Performances, die immer von neuem aus den sattsam bekannten Modulen zusammengebastelt werde.

Daniela Georgieva: Fluscia.
Konzept, Choreografie: Daniela Georgieva,
Choreografie, Tanz: Hugo Le Brigand, Lina Venegas, Valentino Skarwan; Dramaturgische Begleitung: Liv Schellander. Sounddesign: Moritz Nahold, Tanja Fuchs; Lichtdesign: Samuel Schaab; Kostüme, Installation: Anna Sedlmayr // ANN[DONE.
Fotos: © Maximilian Pramatarov