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Dennis Lehane: „Dunkelheit, nimm meine Hand“

Großartig: Dennis Lehane © Mel Melcon / Los Angeles Times

Dennis Lehane, den amerikanischen Autor tiefschwarzer Kriminalromane, kann man immer wieder lesen. So macht es richtig Freude, dass ein früher Thriller aus der Kenzie / Gennaro Reihe neu übersetzt und wieder aufgelegt worden ist. Es ist eine abgründige Geschichte, in der Rache nur eines der Motive ist. Im Zentrum des Romans aber steht das Böse, die pure Mordlust, die Freude daran, anderen Schmerzen zuzufügen. Nicht nur Geschichtenbücher, auch Geschichtsbücher könnten davon berichten.

Lehane scheut sich nicht, in die dunkelsten Ecken der menschlichen Seele zu leuchten, die Leserin braucht starke Nerven, um die Grausamkeiten, zu welchen die sich selbst als Krönung der Schöpfung bezeichnende Spezies fähig ist, zu ertragen.Ein Kriminalroman, besonders dieser, erzählt zwar von Wirklichkeit und Möglichkeit, doch bevor das Blut in den Adern gerinnt, darf das Buch zugeklappt werden, um  sich eine Erholungspause zu gönnen. Das hat die Literatur der Wirklichkeit voraus. Im Zwielicht: Schauplatz Boston  © wikipedia.org

Im 2. Band der in den 1990er Jahren erschienen Reihe rund um Privatdetektiv Patrick Kenzie und seine Kollegin Angela Gennaro geht es so richtig ans Eingemachte. Nicht nur die Eingeweide der Leserin werden aufgewühlt, sondern auch die so mancher Leiche, und Patrick muss in seine Kindheit zurückkehren, um endlich den roten Faden für die Schlag auf Schlag erfolgenden Morde zu finden. Dann erkennt er endlich, dass nicht nur sein Leben in höchster Gefahr ist, sondern auch das der Partnerin Angie, und seiner neuen Freundin samt deren kleiner Tochter. Die Mörder kennen keine Gnade, ihr Ziel ist, Patrick Gennaro zu zerstören.

lLehanes Roman "Mystic River" hat Clint Eastwood verfilmt. Bill Gold hat das Plakat entworfen.Die Mörder sind hinterhältig, grausam und gemein und der Autor knallt den Leserinnen jedes Detail der Gräueltaten an den Kopf. Und doch wühlt er nicht mit Genuss im Schlamm, es ist die Fantasie der Leserschaft, die Furcht und Zittern erzeugt. Lehane wahrt die Distanz und gibt auch Proben seines feinen Humors. Geschickt steigert er die Spannung durch Entspannung und jagt in immer rasanterem Tempo dem aufregenden Finale entgegen. Was er über das Wesen der Menschen und den Zustand der Welt zu sagen hat, legt er seinen Figuren in den Mund. Die meisten von ihnen kennt er seit der Kindheit, so wie auch Angela, eine Freundin, mit der er aufgewachsen ist. Nahezu verbissen versuchen beide, „nur“ Freunde zu bleiben und merken nicht, was die ganze Welt sieht: Das ist ein Liebespaar.Cover der Neuauflage © Diogenes Wie gut, dass  Gennaros  aktuelle Gefährtin samt kleiner Tochter, sein aufregendes Leben doch nicht teilen will.

Lehane ist ein kluger Erzähler, der jedoch volle Konzentration verlangt. Vor allem weil er verschiedene Handlungsstränge verfolgt, jede Menge Personen aus der aktuellen Gegenwart und der Vergangenheit aufmarschieren lässt, die alle ihre Wichtigkeit haben. Zur Zeit gibt es keinen größeren Krimi-Genuss, als  Dennis Lehane zu lesen, auch wenn das Original der Geschichte aus dem vorigen Jahrhundert stammt. Lehanes Romane sind viel mehr als die ganz normale Mörderjagd.

Dennis Lehane: „Dunkelheit, nimm meine Hand“, aus dem Amerikanischen von Peter Torberg, Diogenes, 2017. 510 S. €16,50.
Die Originalausgabe ist 1996 unter dem Titel „Darkness, take my Hand“ erschienen. Deutsche Erstausgabe: „Absender unbekannt“, Ullstein, 2000.